Das Gesetz des Irrsinns
positive Reaktion ist Manna, von dem wir leben, von dem wir zehren. Nur nicht lebendigen Leibes totgeschwiegen werden! Nur nicht von Stille, einer letztlich tödlichen Stille umgeben sein, wenn man seine Zeugen intensiver Arbeit vorstellt. Bloß nicht dieses Achselzucken, Weggucken – sowas ist nicht auszuhalten, auf Dauer. Kein Echo, keine Anerkennung, keine Würdigung, und sich dennoch ins Atelier begeben, um ein weiteres Stilleben zu malen – zuweilen hätte ich abschneiden, abfetzen mögen, was an Fäden und Schnüren aufgehängt war im schwarz ausgekleideten Modellgehäuse: all diese Traubenbündel, gewendelten Zitronenschalen, roten Hummerrücken, silbrig geschuppten Fische – hinweg, hinab in den Orkus! Und es bleiben nur Fäden, Schnüre, leicht pendelnd im leeren Raum …
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Nachbarland veränderte sich, in langsamem Übergang, auch meine Position: Das Bild des Künstlers begann sich zu wandeln. In einem der Text- und Bildbände jenes Zeitraums zeichnete sich als Erstes ein neues Bild des Literaten ab; man präsentierte sich vorzugsweise mit Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs: Dichter in Uniform. Gefragt war nicht mehr der neurasthenische, womöglich neurotische »Zivilisationsliterat«, hofiert wurden Erscheinungen von starker physischer Präsenz. Dieser Wandel griff über auf unsere Zunft, man begann, mich mit anderen Augen zu sehen: schöpferisch tätiger Ostbelgier von korrespondierend kräftiger Statur … Ich musste mich nicht mehr versteckt halten, um meinen Stilleben nicht zu schaden, vielmehr: Man begann, hier einen naturgegebenen Zusammenhang zu sehen.
Oktober 1934 lernte ich Albert Göring kennen. Anlass und Ort der Begegnung: eine Ausstellung neuer Arbeiten in der Galerie Henri Fabre, Brüssel.
Göring hielt sich einige Tage in unserer Hauptstadt auf, als Exportleiter der Skoda-Werke. Ich habe nie herausgefunden, was er damals vermittelte; meine Frage, später in entspannter Situation gestellt, wurde mit einem Lächeln beantwortet und der Auflistung einiger Erzeugnisse des Konzerns: Turbinen und Generatoren … Straßenwalzen, Straßenbahnen … Omnibusse … Bau von Brücken oder Zuckerfabriken … Anlage von Schleusen … Lieferung von Panzern des Typs Skoda TT , von Artillerie bis hinauf zum Kaliber 42 … gigantische Schmiedestücke für Schiffe … Lokomotiven, Flugzeuge – er ließ mir die freie Wahl. Da die erste Begegnung im Jahr nach dem Machtantritt der Nazis stattfand, vermute ich, dass Kanonen oder Panzer im Gespräch waren – schließlich mussten (auch) wir mit dem Schlimmsten rechnen; schon kurz nach dem Wechsel in Berlin kam der Slogan auf: Hitler heißt Krieg.
Nach offenbar zähen Verhandlungen suchte Göring Erholung im Kontrast, und so war er bei Fabre erschienen, begleitet von einer deutlich jüngeren Gefährtin. Göring nahm mich sogleich für sich ein: groß, schlank; elegant gekleidet; das Haar glatt zurückgekämmt; weltmännisch stilisierter Schnurrbart. Unablässig rauchend, Zigaretten in eleganter Spitze, musterte, ja inspizierte Göring meine Stilleben; seine Begleiterin derweil im Gespräch mit Fabre. Ich blieb dem hohen Besucher dezent und diskret auf den Fersen, bereit, auf Stichwort Auskunft zu geben.
Auch ohne Kommentar, ohne Empfehlung: Göring entschloss sich zum Kauf zweier Stilleben: eins mit schwebendem Salatkopf, schwebender Lauchstange, schwebender Artischocke, schwebender Tomatenrispe – dieses Nachtschattengewächs erwies sich als besonders geeignet für Lichtspiegelungseffekte. Das andere Gemälde: ein schwebendes Obstsortiment, wobei sich im Traubenbündel das helle, nun konkave Atelier-Seitenfenster mehrfach spiegelte. Wie üblich geöffnet: der Granatapfel mit reichem Angebot von Kernen, die gewendelte Schalenform der Zitrone, die überreife Birne, von einer Fliege bekrabbelt, einer Wespe angeflogen.
Auch Göring rühmte die Präzision im Detail: Assoziationen an große Stillebenmaler der Goldenen Ära der Niederlande, und hier die fast stereotyp genannten Namen Claesz und Cuyp. Göring indes: Meine Bilder seien entschieden anders angelegt – die Sujets von Stilleben gleichsam zitierend aufzuhängen, so etwas hätte er noch nicht gesehen. Der von Fabre angesetzte Preis wurde anstandslos akzeptiert; Überreichung des Schecks; die transportfest verpackten Bilder bitte am nächsten Morgen im Grand Hotel abgeben …
Begegnung und Erwerb mussten gefeiert werden – Göring lud mich mit
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