Das Gesetz des Irrsinns
und Kelch … eine Zitrone, der Faden geschlungen um die gewendelte Schale … ein Apfel, der Faden mit dem Stiel verknotet … eine Tazza, waagrecht aufgehängt, die Unterseite von Sockel und Schale zum Betrachter, der Stiel in Frauenform …
Albert, rauchend, in erst einmal stummer Betrachtung. Dann die betont beiläufige Anmerkung: Eigentlich könnten die bewährten Objekte jener Stilleben auch mal auf einer Fläche arrangiert werden, etwa auf einer Marmor-Tischplatte.
Ich gab eine unverbindlich bejahende Antwort: Selbstverständlich, ein Tischstück wäre möglich, auch mit Leinen-Tischtuch oder Damastdecke.
Und das etwa mit einem Schinken … Oder einem Fisch … Oder mit Wildbret … Eben mit allem, was dazugehört – diesmal allerdings nicht an Fäden und Schnüren, sondern horizontal gruppiert.
Ich begann zu verstehen; zumindest setzte ein gewisses Ahnen ein. Ein Fressbild für den Gierschlund? Scheinheilig naiv fragte ich: Sie meinen, es käme auf einen Versuch an?
Das meine ich in der Tat. Ich würde Ihre Bemühungen angemessen honorieren.
Ich verstand dies als Auftrag. Und begann, wenige Tage nach seiner Abreise, auf einer Tischfläche ein Stilleben zu arrangieren, zu malen: aufgeschnittener Granatapfel, zeitübergreifendes Brötchen, aufgeklappte Austern, halbgefülltes Fadenglas. Dazu die bewährte Silberkanne, in der sich, in oberer Krümmung, konkav ein Fenster spiegelt, sowie, von unten her, der Reflex, beinah golden, der halbgeschälten Zitrone.
So stellte ich das Gemälde Albert Göring vor bei einem erneuten Treffen, nun wieder im Grand Hotel zu Brüssel. Er zeigte sich begeistert. Ließ die Anmerkung folgen: Man kann sich kaum vorstellen, dass so ein Bild von einem heutigen Maler signiert ist …
In der Tat hatte ich das Stilleben noch nicht signiert, schließlich fehlten meine Fäden und Schnüre.
Göring wieder, nachhakend: Was hätte in der Goldenen Ära eigentlich als Bildträger gedient? Ich: Segeltuch, in damaliger Methode grundiert. Oder, weithin üblich: eine Holztafel. Und er: Fände sich heute noch entsprechend abgelagertes Holz? Ich: Bei uns im waldreichen Ostbelgien ganz gewiss. Und er: Das gleiche Bild, auf eine Holztafel gemalt, die entsprechendes Alter aufweist oder suggeriert – es käme mal auf einen Versuch an, nicht wahr?
Um mich zu solch einem Versuch zu stimulieren, blätterte Göring eine üppige Vorauszahlung auf den Tisch. Und wir wechselten das Thema.
Gleich am nächsten Tag begab ich mich an die Arbeit. Mit einigen der gesammelten Objekte stellte ich auf einer Holzplatte eine Komposition zusammen, mich dem überlieferten Schema annähernd, bis hin zum halbgefüllten Fadenglas und der notorisch umgekippten Tazza. Dazu zwei Hartkäsesorten, angeschnitten: gelb der junge, graubraun der alte Käse. Eine angebrochene Truthahnpastete, allerdings nach einer Bildvorlage. Drei Walnüsse, zwei Oliven …
Immer neu rückte ich zurecht, fotografierte das Ensemble, entschied mich für eine Diagonalkomposition, vom flachen Teller links hinauf zum hohen Fadenglas rechts. Erneut prüfte ich den Bildeindruck, begann schließlich mit der malerischen Umsetzung.
Sehr wählerisch war ich in der Auswahl einer hinreichend getrockneten Holzplatte, trug die dreifache Grundierung auf: Bleiweiß, Umbra, Schwarz. Kopierte mit gesteigerter Konzentration und Intensität mein Arrangement – jedes Detail gewann an innerem Glanz auf dem vorbildlich gebügelten Tischtuch mit Parallelfalten.
Ich beschleunigte das Abtrocknen der Farben im Backofen. Verpackte mein Werk, brach auf zu einem Treffen in Antwerpen, legte es dem vielreisenden Exportchef vor. Erneut Begeisterung. Erneut einer seiner lakonischen Impulse: Und wie wird das signiert?
Ich gab vor, die Frage nicht zu verstehen. Fragte mich selber: Passt meine Signatur, wie bekannt auf Bildern mit hängenden Exponaten, zu diesem Banketje im Stile eines Pieter Claesz? Kurzum, ich übte am folgenden Tag das Monogramm des alten Meisters ein, das langstielige P mit dem kleineren C am Aufstrich, monogrammierte so eine Messerklinge, verlieh dem Bild die Schlussappretur, wie man in der Textilbranche sagen würde. Nun waren nicht nur Fäden & Schnüre gekappt, auch ein roter Faden zu meiner bisherigen Schaffensperiode.
Ich traf Göring sodann in Deutschland (Termin in der Duisburger Kupferhütte), legte ihm das Werk vor. Göring, enthusiastisch: Angenommen, dieses Stilleben wäre mit Claesz signiert (ja, er sagte
mit
und nicht
von
Claesz
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