Das Gesetz des Irrsinns
signiert) – wie hoch wäre derzeit der Marktwert?
Nun, ich schätze: dreißigtausend Reichsmark.
Oh. Dafür hätten diverse Väter zirka fünf Jahre arbeiten müssen … Ich will mal einen Versuch starten, bin demnächst sowieso wieder in Carinhall.
Falls ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ihr Herr Bruder ist bekannt dafür, dass er schlecht, manchmal gar nicht zahlt.
Hermann wird sich mir gegenüber nicht bloßstellen. Wir bleiben also beim Marktwert.
Der hängt allerdings auch ab von der Geschichte, die ein altes Bild begleitet. Jeder Sammler fragt nach der Provenienz. Am besten wäre natürlich ein Gutachten einer allseits anerkannten Autorität.
Sie könnten die Nachweise mitliefern?
Ein Echtheits-Zertifikat, ein nicht gefälschtes, wäre so leicht nicht beizubringen, mit einem Provenienz-Nachweis aber könnte ich dienen. Ich habe das unterwegs durchgespielt, rein theoretisch. Bilder solchen Ranges, sofern sie überhaupt wieder auf dem Kunstmarkt auftauchen, stammen heute vielfach aus jüdischem Besitz. In diesem Fall wäre denkbar, dass ein jüdischer Sammler das Gemälde vorsorglich in die Aussparung einer Zimmerwand einfügen und wieder überdecken ließ; nach der Einweisung des Besitzers in ein Konzentrationslager, nach der anschließenden »Arisierung« wurde die Wohnung für den neuen Besitzer renoviert, dabei wurden Versteck und Bild entdeckt; das Stilleben gelangte, kommissarisch, in die Hände eines Antwerpener Kunsthändlers; der brachte eine überzeugende Provenienz bei: Das Gemälde war registriert im Zusammenhang mit einer Zahlung durch den (damals noch jungen) Amsterdamer Seidenhändler Balthasar Deutz ( 1626 – 1661 ), auf dem Familiensitz in Beemster residierend; der Hausherr als einer der renommierten Kunstsammler jener Zeit; er besaß auch Arbeiten von Jan Lievens, Govert Flinck und Rembrandt; der hohe Zahlungsbetrag von 78 Gulden lässt darauf schließen, dass ein weiteres Gemälde im Preis eingeschlossen war. Weitere Angaben zur Provenienz: Nachlass Adriaan Evertsz, Delft; Versteigerung Amsterdam; Sammlung MacLaren, Northampton – ein absichernder Umweg über England.
Einzelheiten zur Übermittlung, zum Transfer kann ich mir hier ersparen: Albert Göring behielt lediglich ein Zehntel der 30 000 Reichsmark ein, quasi als Vermittlungsprovision; der Betrag wurde laut Chef-Anweisung in schweizer Valuta umgewandelt – der Kunsthändler in Antwerpen bestehe darauf. Das Honorar wurde, in beiderseitigem Einverständnis, in bar übermittelt – eine Überweisung hätte zu leicht nachvollzogen, hätte im wahren Wortsinn: verfolgt werden können.
[Anm.d.Hrsg.: Die Gesamtsumme entspräche, in Kaufkraft umgerechnet, heute etwa 300 000 Euro.]
Nun saß ich plötzlich auf einem Vermögen, das nach außen hin nicht sichtbar werden durfte – vor allem mit Blick auf seine weitere Verwendung. Mein (damaliger) Schwiegervater stand einer der Resistance-Gruppen nah; mit dem transferierten Betrag konnten Schusswaffen, konnte Munition und Sprengstoff angeschafft werden.
Ich darf hier einflechten, dass ich stolz darauf war, dass unsere Truppen noch hartnäckig Widerstand leisteten, als man in den Niederlanden die Waffen längst gestreckt hatte, dass sogar in der deutschen Presse unseren Soldaten Respekt gezollt wurde. Nach der Besetzung konnte ich mir bei jeder Sprengung etwa eines Versorgungszuges, eines Nachschubtransportes sagen, dass die Gelder, die ich dem Widerstand hatte zukommen lassen, möglicherweise auch diese Aktionen gefördert hatten – mit harter Valuta wurde, über Norwegen und Schweden, die Anschaffung vor allem von Dynamit erleichtert.
Es liegt in der Natur der Sache, dass für derartige Transfers keine Quittungen ausgestellt wurden – insofern baue ich auf die Glaubwürdigkeit meines Berichts. Eventuell angeforderte Aussagen meiner damaligen Ehefrau würden die hier vorgelegte Darstellung bestätigen. Besagter Schwiegervater allerdings könnte nicht mehr Zeugnis ablegen, er wurde von der Gestapo verschleppt, wurde ermordet. An wen er seinerseits die Gelder vermittelt hatte, bleibt im Dunkel – wie das nun mal dem Wesen, der Struktur geheimer Organisationen entspricht; kein Mitglied soll mehr wissen als nötig zur Ausführung des jeweils befohlenen Auftrags, der jeweils beschlossenen Aktion.
Vielleicht hing es wiederum mit meinem (dem veränderten Zeitgefühl entsprechend nun doch positiv gesehenen) Erscheinungsbild zusammen, dass sich das Gerücht verbreitete, ja fast
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