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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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seiner (damaligen) Geliebten zu einem Diner ein. Im Hotel las ich seinen Rang auch am unterwürfigen Verhalten des Personals ab, vor allem der Kellner, die ihn gleichsam umschwirrten. Die frugalen Stilleben hatten Alberts Appetit mächtig stimuliert, es wurde geschlemmt. Details muss ich nicht aufzählen, das würde in der gegenwärtigen Notlage eher unpassend wirken – ganz besonders in Anbetracht meiner kargen Gefängniskost. Nur soviel: es war ein Mahl, nicht bloß eine Mahlzeit. Und es blieb nicht beim spießbürgerlichen »Gläschen Wein«.
    Albert Göring als charmanter Gastgeber, gesprächig, witzig, pointenreich. Seine Begleiterin, wie gleich bei der ersten Begegnung vermutet, fungierte auch als seine Sekretärin, mit weitreichenden Befugnissen; selbstbewusst beteiligte sie sich am Gespräch, während meine damalige Freundin sich betont zurückhielt. Für ihren Geschmack kehrte Göring etwas zu sehr den »Bonvivant« heraus.
    Fast unvermeidlich, dass an jenem Abend das Gespräch auf Hermann Göring kam. Es zeichnete sich bald ab, dass die Brüder sich im familiären Rahmen gut verstanden, politisch jedoch unvereinbare Positionen einnahmen. Bei unserer Begegnungspremiere waren Stichworte dazu noch nicht gefallen, da verband sich der Name des mächtigen Bruders in Berlin eher mit dem Stichwort Gemäldesammlung. Gleitender Übergang von meiner Ausstellung in der Galerie zur Sammlung von Gemälden im Wohn- und Jagdsitz Carinhall. Eigentlich, so Albert, sollte man Hermann eins meiner Bilder anbieten, obwohl er zeitgenössischer Malerei gegenüber höchst reserviert sei. Jedoch ein Stilleben, vor allem ein frugales, mit schwebenden Langusten, schwebendem Hummer und weiterem Meeresgetier, dies könnte den Appetit des Gourmets und Gourmands stimulieren, zugleich die Besitzgier des Sammlers.
    Damit war das Stichwort gegeben für einen dritten Kauf, angekündigt beim Dessert: Er treffe sich bald wieder mit Hermann, weniger aus familiärem Anlass als dienstlich, dabei könnte er das Bild als Geschenk überreichen, stimmungsfördernd. Der Bruder wird ein »Banketje« sicherlich gern in Empfang nehmen, wird es womöglich im Arbeitszimmer aufhängen, in dem bisher nur ein großformatiges Porträt seiner ersten Frau hängt, der Schwedin, der schönen Carin, der großen Liebe des großen Bruders …
    Es wurde ausgemacht, dass ich das Stilleben gleich am nächsten Morgen ins Hotel bringe, dort sollte mich der persönliche Referent auszahlen: in Schweizer Franken, nicht in Reichsmark. Und Göring kündigte an, er werde sich melden, sobald er auf einer seiner »Vertreterreisen« erneut nach Brüssel komme; vielleicht auch fahre er, im flotten Steyr, von Köln mal rasch über die Grenze nach Eupen, Atelierluft schnuppern.
    Und tatsächlich, er kam. Wieder musterte er, Zigarettenspitze zwischen Lippen und Fingern, eingehend meine Bilder. Wie nebenbei sein Bericht über die erfolgreiche Übergabe des Schalentier-Stillebens, in Berlin, im Luftfahrtministerium: erst stummes Verweilen des Ministerpräsidenten vor dem Gemälde, dann seine Stellungnahme: eine Form der neuen Malerei, die er noch akzeptieren könne; Details so präzis ausgeführt wie bei Alten Niederländern …
    Wahrscheinlich, nach einer Andeutung aus Görings Sekretariat, hat das Bild mittlerweile in einem der Gästezimmer des Seitenflügels Platz gefunden – womöglich im Raum, in dem Mussolini bald darauf übernachten sollte. Da ich diesem Bericht (den ich nun doch nicht mehr »Rechenschaftsbericht« nennen will, da ich mir letztlich keines strafwürdigen Vergehens bewusst bin) keine dokumentierenden Bilder mitgeben kann, darf ich gelegentlich Andeutungen über Sujets einarbeiten.
    Das Gemälde, in das sich Albert Göring beim zweiten Besuch gleichsam verguckte: ein Banketje. Ich darf erneut festhalten, dass ich die Prunkstilleben des 17 . Jahrhunderts verabscheue, mit ihrer demonstrativen Überfülle. Ganz abgesehen davon – solche Bilder mit all den Kannen und Gläsern, Pokalen und Kelchen, mit Vor-, Haupt- und Nachspeisen, sie hätten mir, auch in meiner spezifischen Kompositionsweise, zu viel Arbeit gemacht, ich habe schließlich keine Werkstatt wie jene Herren Maler, die einem guten Lehrling sagen konnten: Mal du jetzt mal ein paar Trauben, ich geh solang ins Bordell. Ich konzentrierte mich, wie mein Vorbild Claesz, auf die Raffinessen der wenigen Objekte, in den leeren, in den schwarzen Raum gehängt: ein Glaspokal, die Fadenschlaufe zwischen Nuppenstiel

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