Das Gesetz des Irrsinns
Bartmannkrug, eine Jan-Steen-Kanne, ein Silberpokal, Nautiluspokal … Die Objekte wurden durch ihre Isolierung im leeren, schwarzen Raum akzentuiert. Dies auch durch analytische Malweise! Eine geschälte Zitrone, die Schale spiralig … Pfirsich mit sichtbar, fast fühlbar samtiger Haut … Pomeranze mit eher narbiger Oberfläche … verführerisch geöffneter Granatapfel … All dies im Stil der Feinmalerei der Goldenen Ära und zugleich in meiner neuartigen Bildkonzeption.
Vom Verkauf meiner F & S-Stilleben (Faden & Schnur) konnte ich allerdings nicht leben; finanziellen Ausgleich fand ich, nach Abschluss der Ausbildung, als Restaurator. (Was mir später half, die heute inkriminierten Gemälde mit professioneller Sorgfalt auszuführen.) Mit dem Restaurieren alter Gemälde, dem Verfassen begleitender Restaurationsberichte sicherte ich meinen Lebensunterhalt.
Ich arbeitete das Grundkonzept meiner Stilleben präziser aus; an den F & S-Bildern soll man sofort erkennen: Das kann nur ein Verdonck sein!
Als Detail-Vorlagen erwarb ich historische Requisiten, die ich in meine Inventio einbezog: Ein Römerglas mit seiner bauchigen Form … einen (gravierten) Berkemeyer-Pokal … ein Fadenglas (schon vom Wort her passend zur Grundkonzeption) … Zinnkrug und Silberschale … Messer mit Achatgriff … altchinesische Porzellandose … sogar, für teures Geld, einen Nautiluspokal!
Wie meine historischen Kollegen arrangierte ich – immer wieder umdisponierend – die Objekte, inszenierte die Bildvorlage. Technisch lief das so ab: In einem selbstgezimmerten, schwarz ausgeschlagenen Gehäuse probierte ich die Hängung der Objekte aus, bis das Arrangement perfekt schien und ich die aufgezogene, fabrikgrundierte Leinwand auf die Staffelei stellte.
Dann musste ich, bei Bankettbildern, zügig arbeiten, vor allem, wenn Maritimes im Modellkasten aufgehängt war: ein Hummer, zwei Fische, drei Austern … Bei Käse und Schinken konnte ich mir mit der Ausführung mehr Zeit lassen … Dies erst recht bei Brötchen, im 17 . Jahrhundert als Sujets von Stilleben obligatorisch. Brötchen auf Originalgemälden in Museen wie auf Reproduktionen in der »Geschiedenis van het Hollandse stilleven en de zeventiende eeuw« des großen M. H. de Marneffe musternd, machte ich mir Gedanken über Kontinuitäten: Brötchen damals wie heute in gleicher Form und Größe, vielleicht sogar von ähnlicher Konsistenz. Alles, fast alles veränderte sich im Verlauf der drei, vier Jahrhunderte, das Brötchen aber bewahrte in etwa sein Aussehn.
Zwar malte ich auch Porträts, zudem figurenreiche Ensembles biblischer Sujets, doch Stilleben in der Manier flämischer und niederländischer Meister der Goldenen Ära waren und blieben für mich von zentraler Bedeutung. Hier muss ich mit Blick auf die Anklage allerdings gleich betonen: Selbstverständlich signierte ich die Gemälde, und zwar mit meinem vollen Namen! Um jedes Missverständnis, jede Form der Fehldeutung von vornherein auszuschließen, datierte ich zusätzlich die Holztafeln auf der Rückseite, die Keilrahmen an der oberen Querleiste.
Eine Frage, die mir vor dem Krieg zuweilen gestellt wurde: Warum Stilleben in altniederländischem Stil, warum überhaupt Stilleben? Ich nahm das Genre wörtlich: Still-Leben. Also Versuche, Stille zu bannen, bildnerisch. In jener Zeit schallte es immer lauter über die Grenze herüber, primär durch den Rundfunk: Der schreiende Hitler, der schreiende Göring, der schreiende Goebbels, die schreienden Gauleiter und so weiter. Es soll nicht meiner Entlastung dienen, wenn ich festhalte: Das aggressive Gebrüll der Machthaber im Nachbarland fand hier in Belgien, speziell bei uns im deutschsprachigen Bereich, vielfach beängstigende Resonanz – eine wachsende Zahl von Landsleuten stimmte ein in das Geschrei, das in Kriegsgeschrei überging. Den Zweiten Weltkrieg konnte indes keiner von uns aufhalten, ich wollte der mörderischen Entwicklung aber zumindest Zeichen entgegensetzen: stumme Objekte, mit gebührender Sorgfalt ausgeführt.
Hier äußert sich nicht nur der homo politicus, hier muss ich als Künstler betonen: Nur durch äußerste Präzision der Ausführung können sich tradierte Bildelemente vor dem schwarzen Bildhintergrund behaupten, nur wenn ich den Objekten eine fast schon greifbare Körperlichkeit verleihe, können sie nicht von den Fäden, den Schnüren gerissen und ins Nichts hinausgewirbelt werden.
Die erste Ausstellung von F & S-Stilleben in meiner
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