Das Gesetz des Irrsinns
der Sonderstatus hinweg, den Großvater, damals um die vierzig, gemeinsam mit der deutlich jüngeren, dennoch bewährten Praxishelferin Elfriede im Salonwagen genoss. Angesichts beschädigter Bahnhöfe, zerstörter Güterwaggons, Personenwagen, Lokomotiven, angesichts auch total überfüllter Züge mit Passagieren auf Trittbrettern, Puffern und Dächern, sah das Paar in irritierendem Kontrast, dass der Sonderzug letztlich nur der Überführung einer Vollgussbrücke unter Verwendung von acht bis neun Gramm Feingold diente.
Bei einer dieser Fahrten wurde auch ein arisierter Behandlungsstuhl mitgeführt, der am Bahnhof Rastenburg ausgeladen und in den innersten der drei Sperrkreise transportiert wurde, tarnend verhüllt. Im Gegensatz zum Kollegen H. J. Blaschke weigerte sich Hanrath, den Führer unter feldlazarettähnlichen Bedingungen zu behandeln, sprich: unter unbefriedigenden hygienischen Bedingungen. Bei einem Gespräch mit Leibarzt Professor Theo Morell (intern bezeichnet als »Reichsspritzenmeister«) wurde übereinstimmend konstatiert, dass zu wenig Licht und Luft in den Führerbunker gelangte. Auch bildete sich unter den sechs Metern Stahlbeton der Bunkerdecke ständig Kondenswasser, das die Luftfeuchtigkeit hochgradig erhöhte. Auf einer Ledertasche, die Großvater im Sanitärraum des Bunkers deponiert hatte, bildete sich nach zwei Tagen bereits Schimmel. Unter diesen Aspekten hatte er sich als SS -Sturmbannführer ausbedungen, dass in einer Nebenkammer der Baracke für (nur gelegentlich stattfindende) Lagebesprechungen eine Praxis eingerichtet wurde. Der mitgeführte Behandlungsstuhl wurde dort sogleich montiert.
Als das FHQ u Wolfsschanze etwas später aufgegeben und der Führerbunker in Berlin bezogen werden musste, quälte Großvater zeitweilig die Vorstellung, Rotarmisten könnten es sich auf dem Rastenburger Behandlungsstuhl bequem machen.
Damit leite ich über zum letzten und gefährlichsten Einsatz von Großvater. Zu einer Zeit, da Berlin von der Roten Armee vollständig umzingelt war und weite Bereiche der Reichshauptstadt unter Beschuss der massierten sowjetischen Artillerie lagen, war ein Anflug auf den Fliegerhorst Gatow wegen der in fast unmittelbarer Nähe verlaufenden HKL nicht mehr möglich und so übernahm die bewährte, ja berühmte Pilotin Hanna Reitsch den Flugtransfer einer Vollgusskrone. Ein Unternehmen, ja Unterfangen, das selbst die Testpilotin des Raketenflugzeugs Me 363 als Himmelfahrtskommando bezeichnete.
Mit dem Fieseler Storch war nur noch Anflug auf die Nordsüd-Achse möglich, von der bereits rechts und links Bäume und Laternen entfernt worden waren. Unter heftigem Beschuss gelang der Reitsch die Landung, die Maschine rollte kurz vor dem Brandenburger Tor aus, Arthur Hanrath sprang, den Instrumentenkoffer in der Rechten, aus der Maschine, ein Wagen der Fahrbereitschaft stand bereit, brachte Leibzahnarzt und Pilotin die kurze Wegstrecke durch die Wilhelmstraße zur Reichskanzlei, Hanrath lief, Goldkrone im Spezialkoffer, hinab in den Hauptbunker, gefolgt von der Reitsch, die einen belohnenden Handschlag des Führers erhoffte. Unter feldlazarettähnlichen Bedingungen, das heißt: ohne Behandlungsstuhl, wurde die präzis gearbeitete Krone eingepasst und festzementiert. Hanna Reitsch konnte Lobesworte und Handschlag des beinah greisenhaft wirkenden Führers entgegennehmen.
Von Generalfeldmarschall Keitel wurde Hanna Reitsch und Arthur Hanrath rasch die Nahkampfspange verliehen, ehe sie Hauptbunker und Vorbunker verließen, die wenigen Schritte zum Schützenpanzer der Führerfahrbereitschaft hinüberliefen, der sie zum Brandenburger Tor brachte, wo die Maschine startbereit stand, die Nase im mittlerweile gewendeten Wind. Unter einem wahren Feuerwerk russischen Beschusses rollte der Fieseler Storch an und hob steil ab, mit einigen Splitterlöchern in Tragflächen und Rumpf.
[Anm. d. Hrsg. Hier bricht der Text erneut ab. Es folgen Notizen, Stichworte, Zitate. Offensichtlich ist erneut ein heikler Punkt erreicht: Um den Verdacht auf Geldwäsche zu entkräften, musste sich Enkel Hanrath zur Philosophie der Geschäftsführung des Zahntechnischen Labors Hanrath äußern, damit auch über die weithin recht spezielle Klientel und die in jenen Kreisen übliche Form des Geldtransfers.
Arthur Hanrath, von der Spruchkammer als »minderbelastet« eingestuft, konnte ab 1947 Praxis und Labor weiterführen, nun wieder in Berlin-Dahlem. Außerhalb der regulären Arbeitszeit erschienen dort
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