Das Gesetz des Irrsinns
temperamentvolle, lebensfrohe, attraktive Frau erkrankt an Multipler Sklerose, die zu dramatisch raschem Verfall führt; ihr Gatte, renommierter Mediziner, sucht vergebens nach Möglichkeiten der Heilung, zumindest der Linderung, doch die Leiden der moribunden Frau werden unerträglich. Auf ihre ausdrücklichen, nachdrücklichen Bitten hin verabreicht Professor Heyt seiner geliebten Hanna schließlich den Todestrunk.
Hier sah Erckmann jedoch widerlegt, was dem Regisseur kurz nach dem Krieg vorgeworfen wurde: Als sei dies ein Plädoyer für die damals propagierte »Vernichtung unwerten Lebens«. Davon sei in Liebeneiners Film nichts zu sehen, es gehe allein um das Thema: Tötung auf Verlangen. So sei der Film ein »Dokument der Humanität in einer erschreckend inhumanen Zeit«.
Ich würde gegen meine Sorgfaltspflicht als Herausgeber verstoßen, würde ich dies ohne Einspruch so wiedergeben, hier muss ergänzt werden.
Goebbels am 13 . Februar 1941 : »Mit Liebeneiner einen neuen Filmstoff über Euthanasie besprochen. Ein sehr schwieriges und heikles, aber auch sehr dringendes Thema. Ich gebe Liebeneiner einige Richtlinien.«
Bereits vier Monate später notierte Goebbels: »Neuer Liebeneiner-Film ›Ich klage an‹. Für die Euthanasie. Ein richtiger Diskussionsfilm. Großartig gemacht und ganz nationalsozialistisch.«
Knapp zwei Jahre später wird Goebbels in einer Feierstunde zum 25 . Geburtstag der UFA den Regisseuren Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner den Professorentitel verleihen. Aus einem vorbereitenden Schriftsatz: »Liebeneiner hat sich um die politische Propaganda während des Krieges als Künstler verdient gemacht.«
In einem ausgleichenden Akt der Solidarisierung fertigte Liebeneiner 1946 ein Entlastungsschreiben aus, adressiert an Erckmann im 5 . Civilian Intern. Camp IV in Staumühle bei Paderborn, »via District Censorship Station Bonn«.
Aus der eidesstattlichen Erklärung: »In den leider nur wenigen Gesprächen, die ich im KddK (Kameradschaftsclub der deutschen Künstler) mit Hanns K. Erckmann führen konnte, hatte er sich niemals auf einen zelotischen Parteistandpunkt gestellt, hatte vielmehr – dies in klarem Gegensatz zum damaligen Propagandaminister – einen menschlichen und künstlerisch-freien Gesichtspunkt betont. […]
Möge die zu jener unglückseligen Zeit klare Haltung des Herrn Erckmann heute gebührend berücksichtigt, ja, gewürdigt werden.«
Liebeneiner wie Erckmann wurden von den Spruchkammern als »minderbelastet« eingestuft. Somit stand der Realisierung neuer Filmvorhaben grundsätzlich nichts im Wege.]
Und nun gleich zum Anliegen dieses Schriftsatzes. Ich würde Ihnen das kleine Konvolut gern auf den Tisch legen, doch bei den weiterhin erschwerten Reisebedingungen wäre es fast verwegen, von Moers nach Hamburg zu fahren.
Dass mich das Geschick von Berlin nach Moers-Meerbeck verschlagen hat, in die Wohnung, eher: Notwohnung meiner Frau, das hat sich überraschenderweise als positiv erwiesen, denn: ich hätte sonst nie von der Geschichte gehört, die den Nukleus der folgenden, durch das Exposé bisher nur anskizzierten Filmerzählung bildet. Hier hat Zufall vermittelt. (Wobei ich die Rolle des Zufalls eigenwillig interpretiere: Es kommt etwas auf uns zu, für das wir disponiert sind, wir müssen es nur aufgreifen, uns zu eigen machen.)
Was mir zu Ohren kam, war letztlich nicht mehr als eine eher beiläufige Anmerkung; auch bei genauerer Befragung war aus dem Gesprächspartner nicht mehr herauszulocken als dies: Wie zu jenem Zeitpunkt, als Aachen von amerikanischen Truppen fast schon vollständig umschlossen war, eine mehr als sechzig Jahre alte Jüdin von einem Gestapobeamten im Alter von vierundsechzig auf dem Fahrrad von ihrem Wohnort (Anrath) zum Bahnhof Krefeld »verschubt« wurde – erste Phase eines (späteren) Transports in ein Konzentrationslager. Und dies, während in grenznahen Gebieten längst schon Massenflucht eingesetzt hatte Richtung Rhein, während das Dröhnen der US -Artillerie immer kompakter wurde, und in Krefeld klirrten die Scheiben – soweit noch vorhanden.
Vieles spricht für eine filmische Umsetzung dieser Geschichte. Historisches Geschehen und menschliche Nähe! Situationsbedingte Konfrontation von Täter und Opfer! Singuläre Konstellation: Ein Gestapobeamter (mit dem fiktiven Namen Werner Hübner) kurz vor der Pensionierung und eine Jüdin (mit dem fiktiven Namen Marga Epstein) auf einem altgedienten Herrenrad, und entlang ihrer Route
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