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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Innenstadt musste die Praxis in der Tauentzienstraße aufgegeben werden; es erfolgte Angliederung an das bereits bestehende Labor in Dahlem. Mit Blick auf den schrumpfenden Zahnbestand des Führers musste gewährleistet bleiben, dass Kronen und Brücken auch künftig mit gewohnter Präzision (das heißt vor allem: ohne Störkontakte) hergestellt wurden. Speziell auf Betreiben von Hermann Göring wurde das Labor im Keller der Dahlemer Villa mit einer Stahlbeton-Zwischendecke von anderthalb Metern Stärke gesichert. Sie konnte nach der Kapitulation nicht entfernt werden, wurde in den ersten Nachkriegsjahren vor Besuchern und Boten kaschiert, später jedoch innenarchitektonisch akzentuiert. In dem fortan als faszinierend empfundenen Ambiente konnten sich bei Geschäftspartnern willkommene Assoziationen einstellen wie: Führerbunker …
    Damit die dritte Sollbruchstelle: Die Herkunft des zwar dokumentierten, nie jedoch öffentlich aufgewiesenen Bestandes von (ursprünglich) zweiundvierzig Kilogramm Feingold. Höchstwahrscheinlich wurden die Kleinbarren jenes ›Nibelungenhortes‹ im Dahlemer Labor sukzessiv umgeschmolzen in Kronen und Brücken.
    Was der Enkel im Schriftsatz für die Deutschland-Redaktion selbstverständlich nicht artikulieren konnte, was im Rückschluss jedoch naheliegt: Dieses Gold wurde nicht von der Reichsbank freigegeben, es wurde zur Verfügung gestellt vom SS -Hauptamt, damit von der SS -Sanitätsstelle, die wiederum von Zahnärztlichen Stationen in Konzentrations- und Vernichtungslagern mit dem Zahnbruchgold beliefert wurden, das speziell abkommandierte Häftlinge aus den Kiefern ermordeter Lagerinsassen herausbrechen mussten. Titel einer internen, richtungsweisenden Studie: »Rationalisierung der Leichenverwertung auf Massengrundlage«.
    Somit ist davon auszugehen, dass bei Kronen und Brücken, die auch für Patient Hitler im Zahntechnischen Labor Hanrath, Berlin-Dahlem, hergestellt wurden, eingeschmolzenes Zahnbruchgold aus Konzentrationslagern Verwendung fand.]

Deportation auf dem Fahrrad
    Inzwischen sind sechs Jahre vergangen, lieber Wolfgang Liebeneiner, seit wir im KddK über das Projekt »Wüstenfilm« gesprochen hatten, cognac-enthusiasmiert, zugleich nüchtern kalkulierend. Sechs Jahre sich überstürzender Ereignisse, die uns beinah hineingerissen hätten in ihren Mahlstrom, doch wir konnten den Kopf oben, die Glieder beisammen halten.
    Wenigstens wurde ich nicht, wie so mancher andere, strafweise an die Front versetzt, womöglich in einer Bewährungseinheit, ich konnte mich durch eine Lücke absetzen, indem ich für das Außenministerium kriegswichtige englische Texte übersetzte. Mit dem Übersetzen versuche ich mich auch weiterhin über Wasser zu halten: Techniktexte – leider nicht über Motorräder, sondern über farmtractors. »Cold starting is easiest on gasoline …« Einer der Texte, die uns beim Wiederaufbau behilflich sein sollen – but: cold starting, very cold starting … So langsam hängt mir die Übersetzerei zum Halse heraus, ich würde mich gern wieder meinem eigentlichen Metier zuwenden.
    Was Ihnen ja bereits zu gelingen scheint. Wie die Buschtrommeln melden, gehören Sie zum Ensemble der ersten Stunde, das Ida Ehre für ihre Hamburger Kammerspiele zusammengestellt hat, zwei Monate nach der Kapitulation – gratuliere! Weiterhin melden die Buschtrommeln, dass Sie die Verfilmung eines Stücks vorbereiten, in dem Sie mitspielten, dem Heimkehrerdrama von Borchert. Klingt alles höchst verheißungsvoll! Vielleicht hat mein Gutachten für die Spruchkammer Ihren Neuansatz ein wenig leichter gemacht. Wozu in meinem Fall Ihr freundliches Plädoyer sicherlich beitragen wird.

    [Anmerkung des Herausgebers: Die wechselseitig ausgestellten »Persilscheine« sind erhalten geblieben. Im Fall Liebeneiner liegt sogar die gesamte Entlastungsmappe vor, vorwiegend mit Stellungnahmen zu einigen der Filme, die Liebeneiner im Konsens mit dem Lichtspielgesetz und dem Propagandaminister während der NS -Zeit realisierte. Auch Hanns-Karl Erckmann, der nach der sogenannten Stunde Null seinen Namen modifizierte, auch Carlo Erckmann leistete hier seinen Beitrag.
    »Sehr geehrter Herr Liebeneiner, um ein sogenanntes Gutachten angegangen, halte ich es für meine Pflicht, zu Ihrer Entlastung Folgendes festzustellen.«
    Es folgen Ausführungen über den Film
Ich klage an
, den Liebeneiner 1941 mit Paul Hartmann, Heidemarie Hatheyer, Mathias Wieman in den Hauptrollen inszeniert hatte.
    Eine

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