Das Gesetz des Irrsinns
Hanrath entwickelte ein hieb- und stichfestes Dementi. Zugrunde lagen folgende Fakten: Bei Bönersdorf (im Raum Dresden) musste in der Nacht vom 22 . auf den 23 . April 1945 eine Ju 352 der Führerstaffel auf dem Flug von Berlin nach Süddeutschland notlanden, geriet dabei in den Wipfelbereich eines Waldes, stürzte ab, überschlug sich, brannte aus. Es handelte sich um eine der vier Maschinen der Führer- und Kurierstaffel, die Hanrath gelegentlich zur Überführung einer Krone oder Brücke ins Führerhauptquartier in Anspruch nehmen durfte. Mit besagter Staffel wurden Stabssekretärinnen, Adjutanten, Offiziere des Führerbegleitkommandos aus der belagerten Reichshauptstadt ausgeflogen. Im Frachtraum der Kuriermaschine befanden sich Kisten mit Besitz von Adolf Hitler und Eva Braun, außerdem ein Karton mit Aufzeichnungen des Dr. Blaschke über Mundstatus und Zahnprofil diverser Mitglieder der Führungsriege. In dieser Luftfracht von spezifischer Relevanz: jene Kiste mit 42 Kilo Feingold.
Das restlose Verschwinden dieses Goldes an der Absturzstelle wurde unter einigen Mitgliedern der Zahnärzteschaft mit einer gewissen Hartnäckigkeit in Frage gestellt; so sah sich Hans-Georg Hanrath schließlich gezwungen, mit seinem Reisemotorrad (»GoldWing«) nach Bönersdorf zu fahren. Die wassergekühlte GL 1800 erregte im Dorf einiges Aufsehen; auch wurde unter älteren Dorfbewohnern positiv vermerkt, dass Hanraths Sturzhelm dem vormaligen Wehrmachtshelm nachempfunden war, wenn auch in Schwarz. So wurde Bereitschaft zur Kooperation gefördert.
An der von älteren Ortskundigen bezeichneten Absturzstelle im »Heideholz« übergab der Enkel in einer »Nacht- und Nebelaktion« einen der Hundert-Gramm-Barren (dekorativ angeschlagen, demonstrativ angeschmolzen) dem Erdboden und legte ihn im Verfolg der mehrtägig vorgetäuschten Suchgrabungen wieder frei, gemeinsam mit einem älteren Ortsbewohner, der sich gern zum Zeugen nominieren ließ. Der ›Fund‹ wurde fotografisch dokumentiert und für die Presse mit der Legende versehen, es handle sich um ein Reststück aus der (beim Absturz geplatzten) Kiste mit Goldbarren, die sich (nach fester Überzeugung älterer Dorfeinwohner) ein Grüppchen von Displaced Persons angeeignet hatte. Doch selbst diese über Internet verbreitete ›Dokumentation‹ konnte Branchenzweifel nicht aus der Welt schaffen.
Der Verfasser des Schreibens an die Redaktion wird vor der Frage gestanden haben: Wie lässt sich diese Story integrieren in den Schriftsatz für das Nachrichtenmagazin? Selbstanklage oder postume Abrechnung mit dem Großvater dürften kaum intendiert worden sein. Wie also ließen sich Informationen zum Stichwort »Absturz bei Bönersdorf« einbringen, ohne die Gesamtintention des Schreibens zu konterkarieren? Zweifellos eine Sollbruchstelle!
Nach deren (hiermit erfolgter) Markierung setzt sich das Schreiben des Hans-Georg Hanrath fort, auch hier selbstverständlich im Wortlaut wiedergegeben.]
Mein Großvater schwor auf Prophylaxe. Hier sah er, wie Hugo Blaschke, sein Berufsideal: Vorbeugende Maßnahmen sind wichtiger als die Beseitigung bereits eingetretener Schäden.
Doch im engsten Kreis der NS -Führung nahm die Zahl der Zahnschäden zu. So mussten für Kanzleileiter Bormann im Oberkieferfrontbereich sowie im Unterkiefer jeweils dreigliedrige Brücken angefertigt werden. Ebenso erhielten SS -Führer im Generalsrang hochgoldhaltige Kronen und Brücken. Großvater wusste dies auch nach dem Krieg (vor der Spruchkammer des Entnazifizierungsverfahrens) zu rechtfertigen: Hätte er die zahnärztliche Versorgung von führenden Angehörigen der SS , also deutscher Menschen, unterlassen sollen?
Zum bald routinemäßigen Verlauf zahnärztlicher Behandlung im FHQ u: Mit einer Kuriermaschine der Führerstaffel wurde Arthur Hanrath von Gatow zum Feldflugplatz Rastenburg eingeflogen, nahm in Sperrkreis I bei ranghohen Patienten Abformungen von Unter- und Oberkiefer, wurde mit der Heinkel 111 nach Berlin zurückgeflogen, ließ im hauseigenen Labor Positivformen herstellen und nach diesen Arbeitsmodellen die Vollgusskronen oder Brückengerüste aus (selbstverständlich hochwertiger) Goldlegierung gießen, flog nach deren Fertigstellung sogleich wieder nach Ostpreußen, zementierte die Werkstücke ein.
Der prinzipiell gleiche Ablauf, als bei Hitler eine weitere Krone fällig wurde – wobei sich beim Herstellen der Abformung, der Bissnahme wieder Angst, ja Urangst einstellte: Einer der durch
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