Das Gesetz des Irrsinns
Erfahrungen zu kommen. Und auch: um RM bei Gelegenheit einen detaillierten Bericht zu erstatten. Was durchaus notwendig scheint.
Im Auftrag des Amtsleiters (derzeit Fronteinsatz Fernaufklärung): Walter Roggenkamp, Major der Luftwaffe, Dienststellenleiter Amt A / FA .
Lieber Borowski, hiermit lege ich ein Dr. Goebbels/Veit Harlan-Faszikel an. Der Anlass, ich mache es ein wenig feierlich: Am ersten des laufenden Monats hat, laut Briefüberwachung, der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda den Herrn Professor Veit Harlan in einem offiziellen, persönlich unterzeichneten Schreiben beauftragt, einen »Großfilm Kolberg« herzustellen, im Dienste unserer geistigen Kriegsführung.
Bereits gestern (ich halte mit Betonung fest: am 5 . Juni 1943 ) legte Harlan dem Herrn Prop.min. ein Exposé zum projektierten Film vor; es wurde von Dr. Goebbels noch am selben Abend gelesen.
Heute Vormittag, gegen halb zwölf, rief Dr. G. in der Tannenbergallee an; er eröffnete das Gespräch mit Ausführungen allgemeinerer Art.Ich fasse das Abhörprotokoll sinngemäß zusammen.
Der Film müsse bildhaft umsetzen, was Dr. G. im Sportpalast verkündet habe zur Mobilmachung für den totalen Krieg. Die Schlussparole: »Nun, Volk, steh auf, und Sturm brich los!« müsse zur Devise des Großfilms werden. Mit aller Suggestivkraft der Cineastik müsse das Volk zu einem wehrhaften Block des ebenso entschlossenen wie geschlossenen Widerstandes zusammengeschmiedet werden.
Veit Harlan, offenbar noch nicht recht wach, begann Einverständnis zu murmeln, wurde jedoch ungeduldig unterbrochen: Dr. G. sah sich zur Feststellung genötigt, Harlan sei mit dem – immerhin erfreulich rasch eingereichten Exposé – der gestellten Aufgabe kaum gerecht geworden. Nicht Nettelbeck als Führer der Bürgerwehr von Kolberg stehe da im Mittelpunkt des Geschehens, vielmehr das Mädchen Maria, das Harlan, wie mittlerweile üblich, gewiss mit seiner Frau Kristina zu besetzen gedenke. Diese Rolle müsse jedoch entschieden eingegrenzt werden mit Blick auf die zentrale Aufgabe des filmischen Kolossalgemäldes.
Harlan versuchte in einem der Morgenstunde angemessenen Ton einzuwenden, ein Spielfilm ohne größere Frauenrolle, damit ohne Liebesgeschichte, werde vom Publikum kaum angenommen. Und erinnerte den Herrn Minister an dessen Lieblingsfilm:
Gone with the Wind
.
Damit können Sie mir nicht den Wind aus den Segeln nehmen, Harlan! Nur sollten
Sie
mal ein Segel streichen. Maria, na schön, aber mit etwas weniger Spielraum, wenn ich bitten darf. Und was ihren Vater betrifft, so muss ich Ihnen eine klare Weisung mit auf den Weg geben: Joachim Nettelbeck ist und bleibt unangefochten Hauptfigur im Film. Er organisiert die Bürgerwehr, und die wird eine zentrale Rolle spielen bei der Verteidigung von Kolberg. Nettelbeck ist es schließlich, der dafür sorgt, dass der rückständige Stadtkommandant vom jungen, dynamischen Major Gneisenau abgelöst wird. Auch stammt von Nettelbeck die Idee, mit dem Aufstauen eines gewissen Flüsschens das Vorfeld von Kolberg unter Wasser zu setzen. Schließlich: von Nettelbeck, dem alten Seebären, stammen die Memoiren, auf die wir uns stützen müssen. Also: Nettelbeck voran, Nettelbeck führt an, Gneisenau zieht mit, und den Franzosen gelingt es nicht, die Hafenstadt zu erobern, da mögen sie noch soviel Artillerie auffahren, ein noch so massives Dauerfeuer eröffnen, die Zahl der Opfer mag noch so hoch sein, die Bürger geben nicht nach, geben nicht auf, wollen sich lieber unter den Trümmern ihrer Stadt begraben lassen.
Genau dies muss unser Film umsetzen, mit Glanz und Gloria. Mit Glanz und Gloria! Dass ich von Ihnen das Höchste erwarte, dazu haben Sie selbst den Maßstab gesetzt mit Ihrem
Großen König
. Ich habe mir den Streifen noch mal vorführen lassen – fabelhaft! Allein schon, zur Eröffnung, der gigantische Aufmarsch der Truppen, die fulminanten Szenen der Schlacht …!
Dr. G. weiter: Was mit diesem Film vor zwei Jahren erreicht worden sei, müsse im Winter 43 / 44 eine glanzvolle Entsprechung finden. Schwer vorauszusehen, wie zu jenem Zeitpunkt die militärische Lage einzuschätzen sei; auf jeden Fall aber müsse ein Film zur Verfügung stehen, der die Härte des Widerstands pflege und preise.
Und Dr. G., rekapitulierend, resümierend: Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der Kolberg-Film, wenn er so gestaltet wird,
wie ich mir das vorstelle,
uns große Dienste leisten wird.
Der Reichsminister gab Harlan
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