Das Gesetz des Irrsinns
Familienschatz, wobei Hübner daran erinnerte, dass die Mitnahme von zusätzlichem Bargeld sowie von Wertstücken verboten sei. Und: sie könne sicher sein, dass diensttuenden Kollegen in Krefeld diesbezüglich nichts entgehen werde, die hätten Argusaugen.
Sie musste zugeben, dass sie »etwas mehr« eingesteckt habe. Schließlich wisse man nie, was auf einen zukomme. Es handle sich aber nur um einige Gedenkmünzen in Silber, von ihrem Vater stammend. Außerdem: ein Ring mit Mondstein, drei Zehnmarkscheine.
Dies alles musste sie Hübner aushändigen. Seine Schutzbehauptung: Eventuell müssten während ihrer Abwesenheit Strom- und Wasserrechnungen beglichen werden, das würde denn auf vereinfachtem Dienstwege abgewickelt, über ein Generalunkostenkonto. Außerdem brauche man Rücklagen für Renovierungsarbeiten, für den Abtransport von Plunder – kurz, für Abschiebungs- und Verwaltungskosten.
Was sie ihm daraufhin aushändigte, wurde in einen vorbereiteten Briefumschlag gesteckt im Format DIN-A 5 . Dies verbunden mit Hübners Erklärung, er übernehme die Wertsachen kommissarisch, als Untertreuhänder; eine Quittung erübrige sich demnach.
Mit dem gemeinsamen Eintreffen am Krefelder Bahnhof sah ich meine Mission beendet. Verabredungsgemäß wartete bereits Schutzpolizist Reimann auf uns. Er hatte die Aufgabe, die Epstein zur Messehalle in Köln-Deutz zu begleiten bzw. zu eskortieren, wo sie auf die Zusammenstellung eines weiteren, will heißen: eines voraussichtlich allerletzten Sammeltransports zu warten hatte. Theresienstadt war zu jenem Zeitpunkt für Bahntransporte offenbar nicht mehr erreichbar; so könnte Epstein einer der Kolonnen zugeteilt worden sein, die zu einem Zwischenlager in Marsch gesetzt wurden.
Im wachsenden Chaos des Zusammenbruchs verliert sich damit für mich die Spur der Marga Epstein. Ich hatte den Befehl von SS - HSF Junghans ausgeführt, für mich war die Akte Epstein abgeschlossen.
Jedoch ist hier für mich kein Schlusspunkt gesetzt für Überlegungen, wie Reimann die ihm zugespielte Chance hätte nutzen können. Auf dem stark beschädigten, dennoch restlos überfüllten Hauptbahnhof Köln hätte er Epstein leicht »aus den Augen verlieren« können, dies auch beim Übergang oder bei der Fährenüberfahrt zum Messegelände Deutz. Überall herrschte zu jener Zeit total unübersichtliches Gedrängel, in dem es, auf ein Stichwort des Schutzpolizisten Reimann, für die Epstein ein Leichtes gewesen wäre, sich seinem Zugriff zu entziehen und Richtung Bergisches Land abzusetzen. Wie er mir berichtete, hat er seine Aufgabe jedoch pflichtgemäß erfüllt und sie im Zwischenlager Messehalle eingeliefert.
Dies offensichtlich mit der gleichen bedingungslosen Konsequenz, mit der er auch kurz zuvor seine Pflicht erfüllt hatte. Ein für die Phase des Zusammenbruchs typischer Fall: Die mittlerweile auch an der »Heimatfront« tätige Feldpolizei hatte in Pulheim den 15 -jährigen Sohn eines desertierten Wehrmachtsangehörigen verhaftet und ergebnislos nach dem Versteck des Vaters befragt; der Häftling wurde Reimann überstellt mit der Anweisung, ihn zur ehemaligen Abtei Brauweiler zu bringen – dies im Beiwagen des Krads, das dem Polizeiposten wegen des weiträumigen Dienstbereichs zum damaligen Zeitpunkt noch zur Verfügung stand. Reimann musste wissen, welchem Ablauf er mit dem Transport Vorschub leistete: Den jungen Mann erwarteten bei dem (in einem Abteigebäude tätigen) »Kommando Kütter« bestialische Verhörmethoden. Dessen ungeachtet führte Reimann den Auftrag der Feldpolizei anstandslos durch. So sah er sich, trotz dramatischer Veränderungen der Gesamtlage, offenbar auch im Fall Epstein zu äußerster, in jener Lage allerdings höchst fragwürdiger Gewissenhaftigkeit verpflichtet.
Hiermit, werter Herr Liebeneiner, beende ich den Entwurf der Filmerzählung mit einem Auszug aus der Stellungnahme Reimanns vor der Spruchkammer:
Es war Hübner, der vor allem im Jahre 1943 die Deportation jüdischer Bürger aus Krefeld und Umgebung organisierte; in insgesamt sechs Transporten wurden an die tausend Juden »nach dem Osten ausgesiedelt«. Man ließ sich vor den Deportationen vom jüdischen Ältestenrat zuarbeiten: Die jüdische Selbstverwaltung musste die Namenslisten erstellen. Sie wurden in der Krefelder Dienststelle meist ergänzt. Fast alle Erweiterungen erfolgten durch Hübner.
Sodann der Vorgang Mitte September 1944 : In einer
Eigeninitiative
des Judenreferenten der
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