Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
sehr vertraut waren.
»Die Volljährigkeitsprüfungen sind nötig, um die Schwachen und Unfähigen zu eliminieren, diejenigen also, denen man keine Macht über andere menschliche Wesen, Kinder oder Asix, in die Hände legen kann.«
»Die Schwachen? Und was ist mit denen, denen es nicht gelungen ist, sich einer Gruppe anzuschließen und die sich ganz allein im Dschungel durchschlagen mussten – ohne einen Sei-Hey, der Wache hält, wenn man schlafen muss? Sie hatten keine Chance. Es wäre anständiger gewesen, ihnen sofort die Kehle durchzuschneiden.«
»Wir haben alle, die es nicht geschafft hatten, eine Gruppe zubilden, auf ein und dasselbe Boot gebracht, aber sie haben es vorgezogen, allein zu gehen. Das zeigt, dass sie asozial waren, zumindest was die Fähigkeit betrifft, sich in eine Gruppe einzufügen. Selbst als ihr Leben auf dem Spiel stand, zogen sie es vor, allein zu bleiben. Wir brauchen aber keine Soziopathen. Und bevor ich wieder von der Verarmung des genetischen Pools spreche, solltest du dich daran erinnern, dass sie alle ihre Pflicht der Gesellschaft gegenüber erfüllt hatten, bevor man sie den Prüfungen ausgesetzt hat. Ihre Abkömmlinge werden aufmerksam beobachtet, um feststellen zu können, ob ihre Charakterschwäche einen äußeren Grund hat oder ein angeborener Mangel ist. Wäre Letzteres der Fall, müsste man ihre genetische Linie korrigieren oder ausmerzen.«
»Bewahre dir deine schönen Worte für deine Reden vor dem Rat auf, Jori. Und was sagst du über diejenigen, die wegen eines Unfalls nun ihr Leben lang Krüppel bleiben?«
»Das ist nun mal der Preis, der gezahlt werden muss. Du kannst eine jahrhundertealte Tradition nicht wegen solcher Nebensächlichkeiten abschaffen.«
»Nebensächlichkeiten, sagst du? Ich glaube nicht, dass die beiden Jugendlichen, die ins Lebenshaus gebracht wurden, als Nabensache betrachtet werden können, die man vernachlässigen kann. Der Preis ist viel zu hoch.«
»Mach dich nicht lächerlich. Du hast selbst gesehen, wie stolz die Jugendlichen waren, als sie ihren Erwachsenennamen bekommen haben. Die Zeremonie ist nicht einfach nur eine Ansammlung bedeutungsloser Gesten. Wenn sie einen richtigen Namen und die Tätowierung des Clans bekommen, bedeutet dies, dass sie uns und sich selbst bewiesen haben, dass sie würdig sind, Teil unserer Gesellschaft zu sein. Sie haben sich strengen Vorbereitungen unterworfen und sind in der Lage, Hunger und Durst zu ertragen. Sie überwinden selbst schreckliche Gefahren wie die, denen die Gründer ausgesetzt waren, als sie an Land gingen.«
»Das hättest du dem Mädchen aus dem Bur-Clan erzählen müssen, die nun ihr Leben lang ein Krüppel bleibt, obwohl sie eine siegreiche Fechterin und eine brillante Schülerin war. Undihren Kameraden, in deren Augen sie so bedeutend war, dass sie langsamer gingen und sich großen Gefahren aussetzten, nur um das Mädchen nicht zu verlieren.«
»Es tut mir leid um sie. Aber ich habe erfahren, dass sie sich die Haare hat abschneiden lassen und dass man ihr das Symbol ihres Clans auf die Schulter tätowiert hat, bevor sie sich für das Shiro-Privileg entschied. Sie wäre meiner Meinung gewesen. Du machst dir immer zu viele Gedanken über Details und verlierst das große Ganze aus den Augen. So war es schon damals, als du dich geweigert hast, deine beiden ersten Kinder aus dem Haus der Pflegemutter zu nehmen und sie in die Obhut eines Tutors zu geben. Sieh dir das Ergebnis an! Der Junge ist eine verwöhnte Rotznase, und das Mädchen will sich nicht anpassen und wird von den anderen als halbe Asix bezeichnet. Sie ist eine Rebellin und undiszipliniert, und sie wird ihr Leben lang Probleme haben – es sei denn, sie wird bei einem Duell getötet. Denn sie ist ja nicht mal in der Lage, richtig zu kämpfen. Vielleicht wäre es sogar das Beste für sie.«
»Die Idee selbst war es wert. Ich war überzeugt, dass andere meine Kinder übernehmen – für den Fall, dass sie sich nicht anders entwickeln als andere. Siehst du denn nicht, was wir den Jungen antun? Eiserne Disziplin soll ihnen dabei helfen, imaginären Feinden gegenüberzutreten. Welche Feinde? Vielleicht irgendwelche Ungeheuer, die aus dem All kommen? Wir haben ihnen das letzte Bisschen an menschlicher Wärme genommen, die sie von Asix-Pflegemüttern bekommen haben. Und nun staunen wir, weil aus ihnen Querulanten und Hitzköpfe geworden sind, die stets bereit sind, den Säbel zu ziehen, um einen nicht existierenden Feind zu
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