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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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gekommen, sind wir es selbst, die sich für den Tod entscheiden. Wir betrachten es sogar als Ehre – das Privileg, lange leben zu dürfen und schließlich selbst bestimmen zu können, wann das Ende gekommen ist. Hat dein Tutor dir das nicht erklärt?«
    »Ich habe keinen Tutor, Jestak Adaï.«
    »Nein? Ich habe noch nie gehört, dass die Huangs ihre Kinder persönlich aufziehen.«
    »Tun sie auch nicht. Ich lebe bei meiner Pflegemutter.«
    »Immer noch? Wie viele Trockenzeiten hast du erlebt?«
    »Jetzt die neunte.«
    »Ach ja, stimmt. Du musst die Tochter von Haridar sein. Ich erinnere mich. Als man beschlossen hatte, dich bis zur Volljährigkeitsprüfung in die Obhut einer Pflegemutter zu geben, gab es Einwände.«
    Lara hätte gern gewusst, warum das so war, und sie hätte gern mit jemandem über dieses merkwürdige Privileg der Shiro gesprochen, wusste aber nicht, wem sie sich anvertrauen könnte. Dol interessierte sich nur für das Liebkosen, Waschen und Füttern der Kinder, die ihr anvertraut waren. Tarr war fort, und ohne ihn gab es keine richtigen Gespräche mehr, nur noch Laras Monologe, ab und an unterbrochen vom Gemurmel ihres Bruders Wang. Und was den betraf, beschäftigte er sich nur mit seinen Kampfübungen. Auch ihren Schulkameraden fühlte Lara sich nicht allzu sehr verbunden. Sie alle lebten im Haus ihres jeweiligen Clans und hatten ihre eigenen Freunde.
    Nachdenklich machte Lara sich auf den Heimweg und ging durch den leichten Abenddunst, allein mit ihren Gedanken.
    *
    Als sie nach Hause kam, ging es in ihrer Gefühlswelt drunter und drüber. Eine alte Asix beaufsichtigte die Kleinen. Sie heulten und nörgelten trotzig und taten so, als würden sie Lara gar nicht bemerken.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie.
    »Das Baby kommt«, gab die alte Asix zur Antwort.
    Auf den ersten Blick hätte man glauben können, sie sei so alt wie der Shiro im Krankenhaus, aber wer konnte schon sagen, wie viele Trockenzeiten sie wirklich erlebt hatte, wo doch ein Asix nicht so lange lebte wie ...
    Plötzlich durchfuhr Lara ein Schock: Wenn sie in voller Reife stand, waren Dol und Tarr bereits alt oder sogar schon tot. Der Gedanke machte ihr Angst, sie schob ihn rasch wieder beiseite.
    »Ich schaue mal nach«, sagte sie zu der Frau; dann wandte sie sich den Kindern zu. »Wenn ihr nicht wollt, dass ihr einen wirklich guten Grund zum Weinen bekommt, dann seid sofort still! Gehorcht der Frau, wie ihr Tarr gehorcht habt. Dol braucht jetzt Ruhe. Wenn ich nur einen einzigen Schrei höre, kriegt jeder von euch eine gehörige Abreibung! Verstanden?«
    »Ah!«, erklang eine spöttische Frauenstimme von der Tür her. »Wer behauptet, dass im Haus der Asix-Pflegemütter keine Disziplin herrscht, der lügt! Wer bist du, Mädchen?«
    Lara drehte sich um und stand zwei erwachsenen Shiro gegenüber, die ihr unbekannt waren. Sie grüßte höflich und stellte sich vor, trat aber nicht zur Seite, um sie vorbeizulassen.
    »Beweg dich, Kleine«, forderte die Frau, deren Stimme Lara vorhin gehört hatte, sie ungeduldig auf. »Wir möchten zu Dol.«
    »Aber sie bekommt gerade ein Kind!«
    »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
    Die Frau stieß sie grob zur Seite und marschierte mit ihrer Begleitung in Richtung der hinteren Räume. Lara folgte ihnen. Dol lag nackt und lang ausgestreckt auf ihrer Matte. Sie wirkte so dick wie ein Dinosaurier aus dem Dschungel und schrecklich plump. Zwei Asix-Frauen standen ihr zur Seite. Eine von ihnen rasierte sorgfältig den Unterbauch und die Oberschenkel, während die andere ihr ein Kissen unter den Rücken schob.
    »Oh, meine Dame«, rief Dol zufrieden, »du bist gekommen, um die Geburt deines Sohnes mitzuerleben. Es ist gleich so weit.« Kurz verzog sie das Gesicht vor Schmerzen, dann lächelte sie wieder. »Lara, meine Kleine, bleib bei mir. Du wirst sehen, wie schön es ist, ein Baby zu kriegen.«
    Schön? Missgestaltet mit einem riesigen Bauch und heftigen Schmerzen, wie man es ihnen in der Schule erklärt hatte? Nein, danke! Wenn es so weit kommen sollte, hatte Lara die Absicht, es wie die anderen weiblichen Shiro zu machen: Sie würde ihre Kinder von einer Asix auf die Welt bringen lassen. Wenn es Dol so sehr gefiel – umso besser für sie. Jeder nach seinem Geschmack.
    Aus Neugier blieb Lara, aber zwei Stunden lang passierte nichts. Ab und zu stöhnte oder zappelte Dol. Lara langweilte sich zu Tode. Auch den beiden Shiro wurde die Zeit lang, denn sie sprachen über landwirtschaftliche

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