Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
»Warum und wieso, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich wollte nur wissen, ob ich in Anatomie geprüft werde.«
»Entzieht sich meiner Kenntnis!«, wiederholte der Lehrer Laras Worte. »Du bist von der Anatomieprüfung befreit. Stattdessen gehst du morgen ins Lebenshaus. Du hast Bereitschaftsdienst.«
Lara wartete einen Moment, in der Hoffnung, noch mehr zu erfahren, aber vergeblich. Also verbeugte sie sich und verließ den Raum, wobei sie sich fragte, wie ein Bereitschaftsdienst Ersatz für eine Prüfung sein konnte.
In Physik tat sie sich wie erwartet nicht hervor, aber das war nicht so schlimm. Die Botanikprüfung am Nachmittag hingegen beunruhigte sie nicht; die war nicht weiter schwer. Man musste einfach nur viel lernen. Vier Prüfer waren zugegen, drei Shiro und ein Asix. Letzterer, so glaubte Lara, musste ein Forscher sein. Sie betrachtete ihn mit Neugier, denn er war sicher ein Experte, was die einheimischen Pflanzen betraf.
Sie verneigte sich vor dem alten Shiro, der im Schneidersitz hinter dem Tisch hockte.
»Obstbäume des Erdreichs«, sagte er. »Pflege, Krankheiten, Erntezeit?«
Lara antwortete mühelos und wurde mit einem Kopfnicken entlassen. Der zweite Prüfer befragte sie zu Gemüsesorten. Er wollte wissen, was zu tun sei, damit die Stauden die vier Monate lange Trockenzeit unbeschadet überstanden. Es war eine Zeit, in der die sengende Sonne den Boden in Wüstenstaub verwandelte und lange Erdspalten zurückließ. Eine solche Frage gehörte eigentlich in den Bereich Ingenieurwesen, aber Lara war sicher, auch hier richtig geantwortet zu haben.
Am dritten Tisch ging es um Bodenverbesserung und Ertragsmaximierung. Ohne Probleme konnte Lara eine ganze Reihe von Pflanzen aufzählen, die man im Wechsel mit Hülsenfrüchten pflanzte und untergrub, um den Stickstoffgehalt des Bodens zu verbessern. Doch bei den Gemüsesorten, bei deren Pflanzung man Holzasche ausbrachte, irrte sie sich.
»Wenn du Diplom-Landwirtin wärst, müsste dein Clan sich mit Tomaten und Ähnlichem begnügen«, sagte ihr Prüfer mit eisigem Blick. »Noch ein einziger Fehler heute, und du musst die gesamte Prüfung wiederholen.«
Lara verbeugte sich und ging zu dem Tisch, an dem der Asix saß. Er lächelte ihr aufmunternd zu – mit der liebenswerten, freundlichen Art, die typisch für seine Rasse war. Dies war der schwierigste Teil der Prüfung. Fast sechshundert Jahre waren vergangen, seit die Ahnen der Asix hier an Land gegangen waren. Seitdem hatte man mehrere hundert einheimische Pflanzen verzeichnen können. In der Prüfung musste Lara erklären können, welche Pflanzen essbar, welche ein bisschen giftig und welche sehr giftig waren.
»Können bei unserer Ernährung die einheimischen Pflanzen die importierten ersetzen?«, lautete die erste Frage des Asix.
Das war leicht, sozusagen mit links zu beantworten.
»Einige ja«, antwortete Lara, »die meisten aber nur begrenzte Zeit. Die einheimische Vegetation enthält häufig Alkaloide in winzigen Mengen. Nimmt man zu viel davon zu sich, können sie gefährlich werden.«
»Sehr gut!«
Der Prüfer legte ein blaues und ein grünes Blatt in eine Dose und stellte diese auf den Tisch.
»Das ist der Teufel von Maria Jestak«, sagte Lara. »Giftig, tödlich und besonders gefährlich, weil man ihn leicht mit den Blättern der Daïban-Pflanze verwechselt, die wiederum essbar sind.«
Dann zeigte er Lara ein lanzettförmiges Kräuterblatt.
»Eine Mutation von Sandor Huang«, sagte sie. »Sie ändert ihre Farbe, je nachdem, ob der Boden sauer oder alkalisch ist. Ist sie blau, ist sie toxisch. In der Weidewirtschaft werden die Blätter gern von den Rindern gefressen, doch man rupft sie lieber heraus, selbst die grünen Blätter, denn sie enthalten eine Spur von Kormarinen. Wenn das Vieh mehrere Tage hintereinander davon frisst, wird es aggressiv.«
Fragen und Antworten gaben sich eine Zeitlang die Hand. Schließlich sagte der Asix:
»Du kannst gehen, du warst sehr gut. Das Lebenshaus hat uns mitgeteilt, dass wir dir wesentlich mehr Anatomie zumuten dürfen, deshalb sind dir die ungenauen Antworten in der Physikprüfung verziehen.«
Lara verbeugte sich dankbar.
*
Am Tag darauf erreichte sie bereits im Morgengrauen das Lebenshaus. Nur eine alte Asix war da, die dafür zuständig war, den Eingangsbereich zu überwachen.
»Ich bin Lara Huang«, sagte Lara. »Ich habe heute Bereitschaftsdienst.«
»Dann bist du viel zu früh, die Ärztinnen sind noch gar nicht da.«
»Kann ich mich
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