Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Operationssaal.
»Ich hoffe, weiter als Ärztin arbeiten zu können«, sagte Suvaïdar an ihrem letzten Arbeitstag im Lebenshaus.
»Das kannst du ganz sicher. Wir haben mit deiner Saz Adaï eine ständige Zuordnung für das Lebenshaus geplant. Stimmt es, was man sich erzählt? Dass du an der Sitzung des Rates teilnehmen wirst, obwohl du nicht an der Spitze eines Clans stehst?«
»Mit Sicherheit weiß ich das nicht, aber alle Asix sind davon überzeugt, also wird es wohl stimmen. Sie wissen solche Dinge immer viel früher als alle anderen. Ich weiß nicht genau, ob sie mich vorschlagen werden, aber sie möchten, dass ich mich zur Verfügung halte, um mich einzuschalten, sofern es Probleme mit denen aus der Außenwelt gibt.«
»Gibt es denn Probleme? Du kannst es frei heraus sagen. Ich habe gehört, was sich an Bord des Raumschiffes ereignet hat.«
»Nun ja, wenn ich höre, was die Ta-Shimoda über Außenweltler denken, mache ich mir Sorgen. Sie verstehen sie nicht oder wollen sie nicht verstehen. Sie hoffen, dass alles wieder so wird wie es war, bevor das Raumschiff der Föderation bei uns gelandet ist. Aber so wird es niemals sein. Die Außenweltler sind auf diesen Planeten gekommen, und nun sind sie da. Selbst wenn es uns gelänge, sie zur Abreise zu bewegen, könnte es nie wieder so werden, wie es früher einmal war.«
*
Der Rat trat wie üblich am ersten Tag des zweiten Monats der Regenzeit in Gaia zusammen, damit selbst die konservativsten Alten die Zeit hatten, zu Fuß oder mit dem Pferd anzureisen. Sie sahen verächtlich auf die elektrischen Busse herab, die die drei Städte miteinander verbanden. Im Allgemeinen nahmen nur diejenigen an der Versammlung teil, die in der Nähe wohnten, oder wenn sie sich besonders für einen Tagesordnungspunkt interessierten.Die anderen begnügten sich damit, ihre Stimme zu übermitteln. Niemand legte sich die Lasten einer Anreise von Gorival über die Hand-Inselgruppe ohne gewichtigen Grund auf. Gleichwohl waren heute alle anwesend – große und kleine Repräsentanten der Clans, mächtige und weniger mächtige –, weil sie sich immer noch nicht einig geworden waren, wer die nächste Sadaï werden sollte.
Sie versammelten sich im Haus der Sadaï, ein kleines Gebäude aus Stein, das mit Hilfe beweglicher Trennwände in fünf Räume untergliedert war. Nun hatte man die Trennwände beiseitegezogen, um einen Saal zu schaffen, der groß genug war, um sämtliche Alten aufnehmen zu können, die den einhundertundzwölf Clans vorstanden. Die Berater, die sie begleiteten, warteten in der Zwischenzeit draußen. Im Schneidersitz saßen sie auf dem Rasen, die Kapuze ihrer Mäntel um den Kopf gelegt, da es zu regnen begann. Sie unterhielten sich leise und standen bereit, dazuzukommen, wenn man sie rief.
Suvaïdar schaute sich um und ließ den Blick über die Reihen Furcht erregender Saz Adaï schweifen, die starr und mit steifem Rücken dasaßen, alle mit einer asche- oder sandfarbenen Tunika bekleidet, die Hände auf die Knie gelegt und mit Blicken, aus denen Hochmut sprach. Die Diskussionen versprachen schwierig zu werden. Als Suvaïdar in die verschlossenen Gesichter schaute, hoffte sie, nicht allzu verängstigt zu wirken.
Schließlich ergriff die Jestak das Wort, die in Abwesenheit der Sadaï traditionell an der Spitze des Rates stand.
»Das ist jetzt die dritte Versammlung nach dem Tod von Haridar Sadaï. Heute wollen wir ihre Nachfolgerin wählen. Zweimal haben wir vergeblich versucht, uns einstimmig zu einigen oder wenigstens eine Zweidrittelmehrheit zu bekommen. Deshalb wird heute diejenige gewählt, die die einfache Mehrheit erhält. Ich denke, es macht keinen Sinn, dass die beiden noch verbliebenen Kandidatinnen uns noch einmal ihre Ansichten darlegen, da alle Anwesenden bereits damit vertraut sind. Doch bevor wir zur Wahl schreiten, schlage ich vor, dass Suvaïdar Huang auf ein paar Fragen antwortet, die der Rat ihr gern über die fremden Weltenstellen würde. Zuerst aber erteile ich den beiden Kandidatinnen das Wort, die in die Stichwahl gekommen sind, Tsune Ricardo to Han und Eronoda Bur to Sevastak.«
Die Matriarchin des Ricardo-Clans kniete sich auf ihr Kissen, um sich dann auf die Fersen zu setzen. Sie hatte bereits ein beträchtliches Alter erreicht. Ihr Blick war kalt wie der eines Raubvogels, ihr Haar eisengrau. Die drei Narben, die sie stolz im Gesicht trug, zeugten von vielen Kämpfen im Fechtsaal. Entgegen dem Vorschlag, den die Jestak gemacht hatte, setzte
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