Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
nehme an, er hatte die glorreiche Idee, einem Shiro zu predigen. Ich hatte ihm ausdrücklich gesagt, er solle die Shiro meiden wie die Pest, aber er war bockig wie ein Maulesel.«
»Frau Soener, ich habe den Eindruck, Sie bringen den Mitgliedern des Klerus nicht genügend Respekt entgegen. Sie sind doch mehr als nur Missionare.«
Frau Rasser war darauf vorbereitet, dass ihre Gesprächspartnerin jetzt eine ihrer vielen Theorien zum Besten geben würde, wie man die Einheimischen zu behandeln habe. Umso größer war ihre Erleichterung, als Frau Soener nichts sagte. Neugierig näherte sie sich der siebenten Kapelle, die der besonderen Frömmigkeit der Schutzsuchenden geweiht war. Aber dort gab es keinen Tempel, nur eine weiße Mauer, ohne Holo-Bild oder Skulptur.
Nachdem sie in die Botschaft zurückgekehrt war, überlegte Frau Rasser lang und breit, wie sie das Treffen für die religiöse Unterweisung organisieren sollte. Der Gedanke, dass sie mit den vielen Hausangestellten allein war, versetzte sie in Angst und Schrecken, aber hier ging es um ihre Pflicht. Sollte sie die Leute im Empfangsraum zusammenkommen lassen? Es waren zu viele, als dass alle einen Sitzplatz bekommen könnten; andererseits wollte Frau Rasser nicht ganz allein vor den stehenden Einheimischen sitzen. Das schien ihr kein guter Anfang, um von der Gleichheit aller vor den sieben Göttern zu predigen.
Sie überwand ihren Stolz und fragte Ida um ihre Meinung.
»Der Empfangsraum würde sehr gut passen«, meinte Ida. »Nach den ersten Zusammenkünften werden sowieso nicht mehr als drei oder vier Leute wiederkommen.«
»Wieso? Glauben Sie, ich wäre nicht in der Lage, ihnen eine offenkundige Sache zu erklären, die alle menschlichen Wesen betrifft?«
»Ohne Zweifel können Sie das erklären, aber die Asix können es nicht verstehen .«
Machte Frau Soener etwa Witze auf ihre Kosten? Sie, eine gute Frau aus Neudachren, Tochter und Ehefrau eines Soldaten? Jedenfalls hatte die Antwort bei Frau Rasser die gleiche Wirkung wie ein rotes Tuch, das unter den Nüstern eines Stieres hin und her gewedelt wurde.
Schon am darauffolgenden Tag begann ihr Katechismusunterricht. Sie rief alle Hausangestellten zusammen und begann im plumpen Galaktisch: »Ich habe euch kommen lassen, um euch von unserer heiligen Religion zu erzählen ...«
Im weiteren Verlauf erläuterte Frau Rasser die Prinzipien der vier alten heiligen Bücher, die vom Ursprungsplaneten kamen undauf denen die vier großen Religionen basierten, bevor sie vereinigt wurden.
Die Diener schauten sie mit ihren runden Augen, durch die ihre Gesichter stets einen fragenden Ausdruck hatten, schweigend an.
»Habt ihr das verstanden?«, fragte Frau Rasser, die bei der Übersetzung von »Sünde« und »Buße« ins Galaktische ziemlich ins Schleudern gekommen war, nach einiger Zeit. »Habt ihr Fragen?«
»Was ist eigentlich eine Religion?«, wollte eine alte Frau wissen.
»Hm ... Wie soll man das erklären? Das ist die Gesamtheit aller Gebote, die wir ehren müssen.«
»Also ein Gesetz?«
»Ja, eine Art Gesetz. Aber kein menschliches, es stammt von den Göttern.«
»Und was sind Götter?«, fragte der Mann, der im Haushalt als Mädchen für alles arbeitete.
Frau Rasser blickte ihn entmutigt an. Hatte er denn kein einziges Wort von dem verstanden, was sie die ganze Zeit erklärt hatte?
»Das sind die höchsten, allmächtigen Wesen.«
»Über wie viele Personen übt jeder von ihnen Macht aus?«
»Über alle lebenden Wesen aller Planeten!«
»Auch über die Shiro?«
»Sicher. Die Shiro sind nicht mehr und nicht weniger wert als andere Menschen. Man darf nicht glauben, nur weil sie ...«
Einer der Küchenangestellten unterbrach sie:
»Leben die Götter auf deinem Planeten? Und wenn sie so weit weg wohnen, wie können sie mir dann irgendwelche Befehle erteilen?«
Frau Rasser war sichtlich irritiert, weil man sie geduzt hatte. Wie konnte sie den Einheimischen bloß klarmachen, dass man sie zu siezen hatte? Wahrscheinlich würde ihr das nie gelingen.
»Sie leben nicht auf einem speziellen Planeten, sie haben keinen Körper so wie wir ...«, begann sie.
Die Einheimischen fixierten sie die ganze Zeit, und Frau Rasser fühlte sich langsam unwohl. »Sie sind unsichtbar ...«, fügte sie matt hinzu.
Sie sah, wie die Asix untereinander Blicke tauschten, die ein heimliches Einverständnis signalisierten. Ich drücke mich schlecht aus, sagte sie sich. Sie halten mich für eine arme Irre.
»Die Götter
Weitere Kostenlose Bücher