Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
stehen über uns allen«, sagte sie unverdrossen, »und wir müssen uns ihrem Willen beugen.«
»Müssen sich auch die Shiro ihrem Willen beugen?«, fragte einer ihrer Zuhörer stirnrunzelnd.
»Selbstverständlich! Denkt immer wieder daran, dass alle Menschen gleich sind.«
»Gut, dann lass einen dieser Götter kommen und sag ihm, er soll einem Shiro erzählen, dass er ihn verehren und ihm gehorchen muss. Sichtbar oder unsichtbar – ich nehme an, dass er nach einem kräftigen Stoß mit dem Säbel genauso blutet wie jeder andere«, sagte das alte Zimmermädchen. Mit einem Handzeichen gab sie den anderen zu verstehen, dass es nun Zeit war zu gehen. Die ganze Gruppe marschierte davon.
»Ein Sakrileg!«, stieß Frau Rasser hervor. Dann aber fiel ihr wieder ein, was Ida Soener über den unglückseligen ersten Missionar erzählt hatte.
Sie erzählte ihrem Mann, was passiert war, und beklagte sich: »Ich weiß nicht, ob es ein Problem mit der Sprache ist oder ob diese Leute einfach nur hoffnungslos blöd sind, aber ich habe noch nie zuvor derart absurde Fragen und Bemerkungen gehört.«
Sie sprach leise, aber ihr Geflüster war für die Ohren eines Asix auch in mehreren Metern Entfernung noch sehr gut zu verstehen. Und alle, die seit mehreren Jahren im Haus des Botschafters arbeiteten, verstanden mehr oder weniger gut die Universalsprache. Doch sie hüteten sich davor, ihre Arbeitgeber davon in Kenntnis zu setzen, damit diese gute Quelle für Klatsch und Tratsch nicht versiegte.
»Sie hält uns für blöd«, berichtete einer der Lauscher der Alten, die gerade in aller Ruhe den Inhalt eines Schmortopfes wendete.
»Umso besser«, sagte die Alte. »Das bringt sie vielleicht von ihrer Idee ab, uns zusammenzutrommeln und uns ihren Blödsinn zu erzählen. Ich meine, wer hat schon mal was von Unsichtbarengehört? So ein Schwachsinn. Selbst die Jestaks könnten keine Unsichtbaren herstellen.«
»Es wäre aber nicht schlecht, unsichtbar zu sein«, sagte Olov, der Junge, der als Tellerwäscher der Alten zugeteilt war. Er war der Sohn ihrer Tochter und nicht klug genug, um in Gaia weiter zur Schule zu gehen. »Ich könnte heimlich in das Zimmer einer Shiro-Dame gehen ...«
Er hatte keine Gelegenheit, allen zu erzählen, mit welcher Absicht er in das Zimmer der Shiro eindringen wollte. Mit der freien Hand verpasste die Alte ihm eine schallende Ohrfeige und redete weiter, während der Junge offenen Mundes dastand.
»Vielleicht hat die Frau sie nicht alle beisammen, aber böse ist sie nicht. Wir werden uns hin und wieder ihre Geschichten anhören, und sie wird zufrieden sein.«
»Bitte nicht«, flehte Olov, »ich würde lieber die Böden saubermachen.«
»Du wirst die Böden wischen, weil du das gern machst«, erwiderte die Alte, »aber erst, nachdem du dir das Gerede der bekloppten Sitabeh angehört hast.«
Wie Ida vorausgesagt hatte, kamen zu den Sitzungen in den folgenden Tagen nur zwei oder drei Leute, und nicht einmal immer dieselben. Hatten sie sich untereinander abgesprochen, um sich abzuwechseln? An einem der Tage fragte sie einen der Jungen, der ihr relativ fleißig vorkam, ob er bereit sei für die Bekehrung.
»Wir werden die Shiro fragen, ob wir uns bekehren lassen sollen oder nicht«, antwortete eine der anwesenden Frauen.
Entmutigt beschloss Frau Rasser, die Idee fallen zu lassen, diesen Wilden Wissen und Zivilisation zu vermitteln. Oder zumindest, es auf später zu verschieben. Wenn sie erst einmal die Universalsprache beherrschen, sagte sie sich, ist es möglicherweise einfacher, ihnen diese Dinge zu erklären; sonst ist es einfach zu kompliziert für sie. Sie wollte noch einmal mit ihrem Mann über die Möglichkeit reden, für die Hausangestellten und deren Kinder nach dem Modell Neudachrens eine untadelige Schule zu eröffnen.
Die Tage zogen eintönig vorüber. Viele Möglichkeiten zurZerstreuung gab es für die Botschafterfamilie nicht, abgesehen von gegenseitigen Einladungen mit den hiesigen Händlern – ein Kontakt, den auch die erste Ehefrau Rassers akzeptieren konnte, weil die Händler sich nicht mit den einheimischen Frauen abgaben. Nach drei Monaten jedenfalls hatten alle, auch Kapitän Aber und die Soldaten, den Eindruck, dass es nicht die Hitze war, die einem auf Ta-Shima so sehr zu schaffen macht, sondern vor allem die Langeweile.
Deshalb wurde Kommandant N’Tari, der vor seinem nächsten Flug in der Botschaft vorbeischaute, auch als angenehme Abwechslung willkommen geheißen. Niemand
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