Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
werden.
»Ich glaube, ihr solltet bei dem Mann, den sie Kapitän nennen, vorsichtig sein. Ihr wisst, wen ich meine? Der Kleine, der die Augen eines Oddaï hat.«
»Ich weiß, wen du meinst. Er hat auch das Gehirn eines Oddaï – und nicht nur die Augen«, sagte eine der anwesenden Frauen. Und während sie auf den Asix zeigte, der Mädchen für alles war, fuhr sie fort: »Arven hat gehört, wie er damit gedroht hat, die junge Frau von den Felsen zu werfen.«
Freilich, ging ihr durch den Kopf, ich bin dumm gewesen, die Asix nicht danach zu fragen. Es ist offensichtlich, dass sie wissen, wovor der Botschafter sich fürchtet. Zudem war es ihr klar, dass die zweite Ehefrau sein schwacher Punkt war. Sich an der ersten Ehefrau zu vergreifen, die eine reiche und mächtige Familie im Rücken hatte, hätte riskant sein können, aber wer in Neudachren würde den Tod einer jungen Frau beklagen, die von einem Bauernhof stammte und ganz offensichtlich nur die Laune eines alternden Mannes war?
»Ich glaube nicht, dass er so etwas tun wird«, überlegte Suvaïdar laut, »sonst würde er eine abschreckende, kostbare Waffe verlieren. Aber man weiß nie. Versucht ihn im Auge zu behalten – aber aus sicherer Entfernung. Wenn der Mann so dumm ist, das Mädchen zu töten, wäre der Botschafter wütend, und das könnte nützlich für uns sein.«
»Kann man denn nichts unternehmen, um das zu verhindern?«, fragte eine Asix vorwurfsvoll. »Die junge Frau tut uns leid. Sie ist dumm wie ein Huhn und weiß mit sich allein nichts anzufangen. Aber zu uns ist sie immer sehr freundlich.«
Sentimental wie eine Pflegemutter, dachte Suvaïdar, doch sie sagte lieber nichts: Wenn sich die Asix in den Kopf gesetzt hatten, die junge Frau zu beschützen – wie sie es auch bei Tieren taten oder bei einem kleinen Shiro, den man ihnen anvertraute –, würden sie es so oder so tun. Natürlich würde die Asix darauf achten, nicht gegen die Gesetze zu verstoßen, aber sie würde es so arrangieren, dass sie diese umgehen könnte.
Auf dem Rückweg nach Gaia beschloss Suvaïdar, eine Sache zu beenden, die sie schon längst hatte abschließen wollen. Sie wollte die Personen nach Neuigkeiten fragen, die sie vor ihrer Abreise nach Wahie häufiger besucht hatte: Daïni, einige Klassenkameraden und ihre Sei-Hey.
Sie verstand gut, dass Daïni nach Wangs Tod mit den Kindern, die sie von Wang hatte, zur Hand-Inselgruppe gereist war. Sie war mehr oder weniger regelmäßig seine Sexualpartnerin gewesen – eine Situation, auf die der Clan mit herablassender Verachtung reagiert hatte. Mauro und Rin, die sich auf die Aufzucht von Tieren und auf Landwirtschaft spezialisiert hatten, lebten beide in Gorival. Und Saïda wohnte im Haus des Jestak-Clans, nur ein paar Schritte vom Lebenshaus entfernt, das Suvaïdar jeden Tag besuchte. Es war purer Zufall, dass sie sich bis jetzt noch nicht begegnet waren.
Auch Saïda hatte gegen die Traditionen rebelliert und auf jeden Fall Medizin studieren wollen, wie die Frauen seines Clans. Doch alle hatten ihm erklärt, dass so etwas nichts für einen Mann sei. Dennoch hatte er sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Aber kein Lebenshaus wollte ihn praktizieren lassen. Deshalb arbeitete er in der Notaufnahme, und manchmal durfte er bei Geburten mit Komplikationen assistieren.
»Er verbringt auch sehr viel Zeit mit zwei Mädchen«, hatte Kilara ihr mit einem merkwürdigen Lächeln anvertraut, ohne weitere Details zu nennen.
Suvaïdar überprüfte die Zeitpläne des Hospitals. Als sie einen Abend fand, an dem sie und Saïda frei hatten, klopfte sie an die Tür seines Zimmers.
»Lara!«, rief der junge Mann erfreut aus, als er sie sah. Komm rein!«
Er hatte sich nicht sehr verändert, er sah nur müde aus.
»Erzähl mir ...«, begann er.
Im selben Augenblick sagte Suvaïdar: »Sag mir ...«
Saïda lachte. »Du zuerst, Suvaïdar. Du hast mehr Abenteuer erlebt als ich.«
Sie plauderten locker und ohne Scham miteinander, als hätten sie sich erst ein paar Tage zuvor gesehen. Dabei hatten sie seit sechs langen Trockenzeiten nichts mehr voneinander gehört. Sie erzählten sich, was in den vergangenen Jahren passiert war. Saïda hörte verblüfft, dass in der Außenwelt die Mehrzahl der Ärzte Männer waren. Suvaïdar erinnerte sich, was Kilara ihr erzählt hatte, und fügte hinzu:
»Ich habe keinen Assistenten. Hättest du Interesse?«
»Du würdest mich wirklich nehmen? Hast du keine Angst, dass ich Fehler mache?«
»Sie
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