Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
unterbrach sie.
»Wie kommst du darauf, dass ein Asix einem von uns Böses tun könnte?«
Suvaïdar musterte Saïda verstohlen. Ihr Sei-Hey hatte wohl den friedvollsten Charakter aller Shiro, den sie bis jetzt kennengelernt hatte, und er hatte ihr sogar den Beweis geliefert, dass er lachen konnte. Aber es gab da Grenzen, die man besser nicht überschreiten sollte. Schweigend gab sie sich weiter ihrer Kontemplation hin, während Saïda die Pfote der Hündin nähte und ihr einen neuen Verband anlegte. Seine Handgriffe waren präzise und sicher.
»Fertig, Tan, du kannst gehen«, sagte Saïda schließlich und gab der Hündin einen Klaps. »Nimm ja nicht den Verband ab, und iss das Pflaster nicht auf. Morgen früh wird dir einer vom Bur-Clan dein Essen bringen.«
Dann wandte er sich Suvaïdar zu. »Kommst du mit mir in den Gemeinschaftsraum? Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
»Sind deine Mutter und deine Töchter zu Besuch? Ich habe gehört, dass du zwei hast.«
Saïda lächelte. »Nein, aber du wirst schon sehen.«
Der Gemeinschaftsraum des Jestak-Clans kam ihr deutlich einladender vor als der der Huangs. Shiro und Asix, Erwachsene, Jugendliche und selbst ein paar Kinder waren hier zusammen. Es ging familiär zu in dem großen Saal aus grauem Stein, dessen Boden größtenteils mit geflochtenen Matten aus Daïbanfasern und farbigen Kissen bedeckt war.
Als Saïda den Raum betrat, erhoben sich zwei Mädchen, die gerade damit beschäftigt gewesen waren, sich gegenseitig aus einem Buch vorzulesen. Sie grüßten, indem sie sich tief verbeugten, und sagten dann im Chor:
»Guten Abend, Herr.«
Sie mussten ungefähr gleich alt sein. Die eine war etwas dünner und ein wenig ungelenk, die andere kleiner, aber körperlich sehr athletisch gebaut.
»Meine Töchter«, sagte Saïda stolz. »Sie tragen den Namen ihrer biologischen Mutter. Die Kleine heißt Rico, die andere Lara.«
Suvaïdar betrachtete das größere der beiden Mädchen. Im Lebenshaus hatte man ihr die Zahl der Kinder genannt, die ihr zugeteilt worden waren. Sie hatte begriffen, dass sie die biologische Mutter von neun Kindern sein würde, zwei Halbkindern und sieben Shiro-Kindern. Wie alle ihre Artgenossen hatte auch sie einen unterentwickelten mütterlichen Instinkt; deshalb hatte sie sich nie Gedanken gemacht, wo ihre Kinder stecken könnten. Jetzt aber fiel ihr wieder ein, wie sie und Wang sich für alles interessiert hatten, was Haridar betraf. Sie neigte den Kopf und grüßte höflich.
»Suvaïdar Huang«, stellte sie sich vor.
Die beiden kleinen Mädchen verbeugten sich ihrerseits, und Lara schaute sie mit großen Augen fasziniert an. Bevor Saïda sich verpflichtet fühlen könnte, sich wegen ihrer schlechten Manieren zu entschuldigen, lächelte Suvaïdar sie an und sagte:
»Du darfst mich mit meinem Namen ansprechen, Lara.«
»J-ja, Sh-Shiro Adaï«, stotterte die Göre, erstaunt über so viel Freundlichkeit. »Es ist mir eine Ehre.«
»Suvaïdar.«
»Ja, Suvaïdar Shiro Adaï.«
»Lasst uns irgendwo Platz nehmen.«
Sie setzten sich, und Suvaïdar versuchte, ein Gespräch anzufangen, was gar nicht so einfach war, denn sie war den Umgang mit Kindern nicht gewöhnt und wusste nicht, wie sie sie anreden sollte. Zudem war Lara so sehr fasziniert, dass sie kaum ein Wort hervorbrachte.
Sie unterhielten sich gerade erst einen Moment, als Kilara das Zimmer betrat und um sich schaute. Nachdem sie Suvaïdar ausfindig gemacht hatte, bahnte sie sich einen Weg durch die Jestaks, die überall saßen, um zu lernen, Schach, Mah-Jong oder Au Go zu spielen, zu nähen, Daïbanfasern zu flechten oder sich flüsternd zu unterhalten.
»Dringende Versammlung des kleinen Rates«, erklärte Kilara, sagte aber nicht, was vorgefallen war.
Das Gespräch verstummte, und neugierige Blicke waren auf sie gerichtet.
Im Dunkeln eilten sie zum Haus der Sadaï, grüßten, verbeugten sich und nahmen im Schneidersitz Platz. Nur zwei Öllampen waren angezündet, die schummeriges Licht auf die Anwesenden warfen. Die anderen Mitglieder saßen bereits schweigend da. Offensichtlich hatte man nur auf Suvaïdar gewartet. Nachdem sie und Kilara Platz genommen hatten, kniete sich David Ricardo hin und begann:
»In Niasau hat es ein Scharmützel gegeben. Eine Patrouille ist in das Viertel der Asix eingedrungen. Zwei Schüler von Meister Lal wollten sie daran hindern. Wie der Asix sagte, der zu mir kam, um darüber zu berichten, wurde eine Zeit lang diskutiert – unsere Leute auf
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