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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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vulkanischen Steinplatten bestand, war fast vollständig nackt. Ein niedriger Tisch stand auf einer geflochtenen Matte. Auf einem Regal an der Wand konnte man ein Dutzend Löffel und Schüsseln aus einem fremden Material sehen, ein mit unregelmäßigen Flecken und Motiven versehenes Schachbrett sowie ein altes Buch aus Papier. Mehr gab es hier nicht.
    »Das ist das Gemeinschaftszimmer«, erklärte Suvaïdar. »Hier isst und plaudert man nach dem Essen, hier spielt man Schach oder Mah-Jong, und hier empfängt man Besucher. Bei uns sind Küche und Bäder stets im Freien, im Hinterhof, und von hier geht es zu den Schlafzimmern. Möchten Sie eines sehen?«
    »Wir wollen nicht stören«, antwortete Rasser höflich, der trotz allem einen neugierigen Blick in die Richtung warf. Doch als Suvaïdar ging, folgte er ihr rasch, wie alle anderen auch.
    Das Zimmer war noch spartanischer eingerichtet als der Gemeinschaftsraum. Er enthielt nur eine dicke Matte, an deren Ende die sorgfältig zusammengelegten Betttücher lagen. Außerdem gab es eine kleine Holzkiste – ein Material, das bei den Außenweltlern ein Luxus war, aber nicht in einer Welt, in der es sehr viel Wald gab – und ein Kissen.
    »Und wo schlafen sie?«, fragte Elide Rasser mit weit aufgerissenen Augen.
    »Auf der Matte. Und die Kiste enthält alles, was die Person besitzt, die hier wohnt: Wäsche, Kleidung zum Wechseln, Sandalen fürs Haus und persönliche Dinge.«
    Sie gingen zurück in den Gemeinschaftsraum, wo die alte Asix Oda gerade eine Tasse mit einem duftenden Getränk reichte, das sie auch den anderen anbot.
    Suvaïdar nahm die Schale dankend an. Dann sagte sie zum Botschafter: »Nehmen Sie, es ist Tee.«
    Als Rasser die Schale in die Hand nahm, fiel ihm auf, dass sie ebenfalls aus Holz war. Was er für abstrakte dekorative Muster gehalten hatte, waren in Wahrheit die Fasern und Blattadern einer Pflanze.
    Die beiden Ta-Shimoda wechselten einige Worte mit der Asix   – eine der hässlichsten Frauen, denen Rasser jemals begegnet war. Ihr vorstehendes Kinn und ihre untersetzte Statur mit den viel zu langen Gliedmaßen verliehen ihr ein affenähnliches Aussehen, was durch die beiden tiefen Falten, die sich unterhalb der Nase kreuzten und sich bis zu den Mundwinkeln hinzogen, noch unterstrichen wurde.
    Elide Rasser bekam immerhin so viel mit, dass sie verstand, dass die beiden Shiro die Alte nach Neuigkeiten in der Familie fragten, worauf die Asix eine ausführliche, aber konfuse Antwort gab. Elide wunderte sich, dass die beiden Shiro so betont höflich mit der Frau sprachen – viel höflicher, als man eigentlich hätte erwarten können, hatten die Shiro doch einen wesentlich höheren sozialen Status als die Asix.
    Nachdem die Shiro ihren Tee getrunken hatten, verabschiedeten sie sich von der Asix, indem sie sich verbeugten. Die Alte erwiderte die Geste. Frau Rasser, die ihren Dank stockend auf Gorin vortrug, verneigte sich ganz automatisch wie die anderen, doch ihr Mann rief sie sofort zur Ordnung.
    »Müsste man ihr nicht etwas geben?«, fragte Li Hao.
    »Meinen Sie damit ein Trinkgeld oder so? Nein, dann hätte sie den Eindruck, dass Sie den Tee bezahlen wollten, und das würdesie nicht verstehen. Man lädt jeden Besucher zum Tee ein, das ist eine übliche Geste der Höflichkeit.«
    »Wie arm sie sind!«, murmelte Elide Rasser, als sie wieder auf der Straße waren. »Kann man denn gar nichts tun, um ihnen zu helfen?«
    »Arm? Ihnen helfen?«, fragte Oda und zog die Stirn in Falten.
    »Entschuldigen Sie, ich wollte niemandem zu nahe treten«, fügte die junge Frau Rasser rasch hinzu. »Aber dieses nackte Zimmer ohne Bett oder Schrank kommt mir so traurig vor. Leben alle Asix so?«
    »Ja, wir alle leben so«, sagte Suvaïdar. »Auch in meinem Zimmer befindet sich nicht mehr. Der einzige Unterschied zum Gemeinschaftsraum unseres Hauses besteht darin, dass bei uns zehn oder zwölf Kissen herumliegen. Nachdem die ersten heftigen Orkanstürme überstanden waren, haben unsere Vorfahren sofort begriffen, dass sie sich daran gewöhnen müssten, sich von allem Überflüssigen zu trennen. Nach Jahrhunderten voller Stürme haben wir uns mittlerweile aller Möbel entledigt, die zu sperrig sind, um sie schnell in die Keller zu bringen. Unser Prinzip war stets: Erst das Notwendige, dann das Nützliche, und wenn es eines Tages möglich ist, das Unnötige. Aber ich glaube nicht, dass dieser Tag jemals kommen wird. Zweimal im Jahr müssen wir unsere gesamte Energie

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