Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Angst, ins Fettnäpfchen zu treten.
Ach ja, natürlich, dachte Suvaïdar, die sogenannte »Liebe«. Die Außenweltler trieben so ihre Geschichtchen um diese Absurdität und schrieben jede Menge überflüssiges Zeug über dieses Thema – ganze Bücher, lächerliche Geschichten, die niemals passierten, und schwülstige Lieder, die den ganzen Tag den Ohren zugemutet wurden. Suvaïdar hatte sich immer gefragt, ob es sich nicht bloß um eine gesellschaftliche Konvention handelte.
Ihr Bruder fragte sie in der Hochsprache: »Ich habe nicht verstanden, was der Mann damit sagen will.«
»Er will damit sagen, dass alle Menschen einen Partner haben und ... äh, Gefühle empfinden.«
Suvaïdar stockte, weil sie nicht wusste, wie sie fortfahren sollte. In ihrer Sprache war das einzige Wort für Liebe »Aseia Nodao«, das die Zuneigung einer Asix-Pflegemutter umschrieb.
»Es ist eine Art von Aseia Nodao, aber nur auf eine bestimmte Person gerichtet, und eine ganz besondere Art von Freundschaft. Für sie ist das sehr wichtig, so wie für uns der Respekt oder die Pflicht gegenüber der Spezies, den Asix, dem eigenen Clan, den Kameraden von den Akademie ... Die individuellen Gefühle empfinden sie nicht als lächerlich. Sie wollten dich also bestimmt nicht beleidigen, Oda Adaï. Es ist ein bisschen wie die Beziehung zu einem Sei-Hey.«
»Dann ist es ja gut«, antwortete Oda beruhigt. Er wandte sich wieder den Außenweltlern zu und erklärte: »Ich habe mich in viele Asix und in einige Shiro meines Clans verliebt, ganz besonders in meine Sei-Hey und in meine Schwester.«
»Oh ... das wollte ich eigentlich nicht gesagt haben.« Der Professor war verlegen. Oda fragte sich, was ihm widerfahren war. »Mit einer Schwester? Das geht doch nicht. Ich nehme an, auch bei Ihnen ist der Inzest kriminell.«
»Was bedeutet Inzest?«
Suvaïdar erklärte es ihrem Bruder in der Hochsprache und fügte hinzu, dass es bei den Außenweltlern geächtet sei. Auch auf anderen Planeten gelte es, wie Li Hao gesagt hatte, als Verbrechen, das geahndet werde.
An diesem Morgen hatte Oda sehr gute Laune, weil er die Nacht zuvor mit seiner Schwester die Matte geteilt hatte – nach einer ihrer seltenen Einladungen (viel zu selten, wenn es nach ihm ging). Nun fiel er aus allen Wolken, als er Suvaïdars Worte hörte.
»Aber was finden sie daran so schlimm?«, wollte er wissen. »Jeder vergnügt sich mit seinen Schwestern und seinen Sei-Hey. Mit wem denn sonst?«
»Wir reden später darüber.«
Sie würgte das Gespräch ab, weil sie befürchtete, die junge Frau Rasser könnte verstehen, worüber sie sich unterhielten. In der Universalsprache sagte sie zu den Fremden:
»Wir kennen die Institution der Ehe nicht. Es steht uns frei, so viele Partner zu haben, wie wir wollen, egal ob Shiro oder Asix, ganz nach unserem Geschmack und unseren Neigungen. Ich weiß, dass es auf den Zentralplaneten als skandalös gilt, so etwas offen zu tun, aber bei uns verstößt es gegen die Tradition, sich auf einen einzigen Partner zu beschränken. Im Übrigen stelle ich es mir sehr monoton vor.«
»Sie haben Partner gesagt – Plural –, und Sie sprachen auch von den Asix?«, fragte der Botschafter ungläubig.
»Genau. Und warum auch nicht? Die Asix sind ...«
Sie verzichtete darauf zu sagen, dass sie die Asix schön fand. Mehr als einmal hatte sie die Kommentare der Fremden über die Körper der Asix gehört; sie wusste, dass sie die Asix als hässlich betrachteten.
Es zeugte Suvaïdars Meinung nach von einem unglaublich schlechten Geschmack, dass die Fremden – die sich der Schönheit wegen sogar spritzen ließen – so dachten. Sie hätte auch »Die Asix sind sehr männlich« sagen können; das hätte Rasser mit seiner bigotten Mentalität völlig verwirrt. Sie hätte aber auch sagen können: »Sie haben immer ein Lächeln auf den Lippen und sind freundlich«, aber auch das hätte nicht annähernd erklärt, warum die Mehrzahl ihrer Artgenossen – Männer und Frauen – von der anderen Rasse so sehr angezogen wurden.
»Die Asix sind auf gewisse Weise friedlich«, sagte Suvaïdar schließlich zögernd. »Mit ihnen ist es nicht so förmlich. Sie sind nicht gleich gekränkt, wenn es um Kleinigkeiten geht, und es kommt eher selten vor, dass sie sich mit einem von uns duellieren. Und wenn sie es doch tun, endet der Kampf niemals tödlich.«
»Aber ... aber es ist schamlos, eine solche Verbindung zu tolerieren ...«
Der Botschafter stammelte, weil er bei dem Gedanken
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