Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
interessieren. Wie viele Asix- und wie viele Shiro-Partner hast du bereits gehabt?«
»Alle?«, fragte Suvaïdar ungläubig. »Auch die vom Fest der drei Monde? Wie soll ich mich daran erinnern?«
»Ich bin sicher, die Namen der Shiro könntest du mir nennen.«
»Fünf ... nein, sechs.«
»Das sind nicht viele für so viele Jahre, selbst wenn man die Zeit außer Acht lässt, die du nicht auf Ta-Shima verbracht hast. Wenn du dich nicht daran erinnern kannst, mit wie vielen Asix du zusammen warst, bedeutet das wahrscheinlich, dass es sehr viele gewesen sein müssen. Du hast immer an den Festen teilgenommen, und ich bin sicher, dass im restlichen Jahr ...«
»Ich fühle mich wie eine Kuh, die glaubt, ihren Weg selbst wählen zu dürfen, doch in Wahrheit wird sie dorthin geschubst, wo die Viehzüchter und die Hirtenhunde sie sehen wollen. Seit ich volljährig bin, habe ich immer geglaubt, ich könnte frei wählen.«
»Frei? Was soll das heißen? Du hast immer gewusst, dass die Asix genetischen Mutationen unterworfen wurden, die ihren Charakter und ihr Verhalten betreffen. Das sollte man nicht dramatisieren, nur weil das Gleiche mit uns geschehen ist. Unsere Gesellschaft ist stabil, was wollen wir mehr?«
Suvaïdar war von der Stichhaltigkeit der Argumentation nicht überzeugt, doch ihr fielen keine intelligenten Einwände ein. Seit sie Maria in die Korridore im Keller gefolgt war, betrachtete sie sich zunehmend in einem anderen Licht. Ihre Vorliebe für Asix als Sexualpartner war also gar keine freie Entscheidung. Hunderte von Trockenzeiten zuvor hatte ein Ligase-Enzym ein Gen eingefügt, das in der Erbsubstanz eines ihrer Ahnen eine solche Präferenz festgelegt hatte. Suvaïdar nahm sich vor, dem Lebenshaus eine entsprechende Information zu geben.
»Ich habe vergessen zu sagen, dass Reomer Jestak seine Assistenzzeit meines Erachtens hervorragend abgeschlossen hat«, sagte sie dann.
»Du willst ihn loswerden?«
»Nein, ganz und gar nicht, Jestak Adaï. Ich wäre glücklich, weiter mit ihm arbeiten zu können, aber nur, wenn wir gleichgestellt wären. Er ist genauso wertvoll wie jede andere von uns.«
»Machen wir uns nichts vor, er ist trotzdem nur ein Mann. Warum musste er in der Notfallambulanz und als Assistent in der Geburtshilfe aufhören?«
»Ich versichere dir, er kann jede Aufgabe erfüllen, die du ihm übertragen wirst«, erwiderte Suvaïdar im Brustton der Überzeugung.
Doch schon am nächsten Tag wäre ihr lieber gewesen, sie hätte diese Worte nicht gesagt. Saïda kam zu ihr, um ihr mitzuteilen, dass man ihm einen Posten im zweiten öffentlichen Gesundheitsamt im Dschungel zugewiesen hätte.
»Das ist nicht möglich!«, rief Suvaïdar aus. »Ich werde mit der Alten des Clans sprechen. Es wird mir schon gelingen, sie umzustimmen. Ich kenne das Gesundheitsamt sehr gut. Ich habe dort zwei Jahre gearbeitet, als ich an der Universität studiert habe.«
»Und wie ist es da?«
»Es ist der einsamste Ort, den du dir vorstellen kannst. Ein Haus auf dem Fluss Corosaï-no-goï, nicht weit von der Stelle, an der sie die Jugendlichen bei der Volljährigkeitsprüfung absetzen,doch auf dem anderen Ufer, weit weg von allem. Du bist da ganz allein mit zwei Asix-Hilfskräften und musst Pflanzen analysieren, die die Forscher auf der Suche nach unbekannten Pflanzen entdeckt haben. Ab und zu behandelst du jemanden, der einen Unfall hatte – und das Glück, dass es nicht allzu weit vom Gesundheitsamt passiert ist. Außerdem musst du die Männer im Wald überwachen, sie vielleicht auch impfen und versorgen. Das ist nicht leicht, weil sie halb wild und gefährlich sind.« Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort:
»Außerdem haben sie sich eine Art Religion zurechtgebastelt. Es sind Geschichten, die sich niemals ereignet haben, an die sie aber blind glauben. Zum Beispiel glauben sie, dass die Jestak von der Donner- oder Mondgöttin geschickt worden sei. Jeder Stamm hat eine andere Gottheit, aber es ist immer eine weibliche. Seit Jahrhunderten wurden sie ausschließlich von Frauen behandelt. Wenn sie jetzt plötzlich einen Mann sehen, weiß ich nicht, wie sie reagieren werden. Sie sind unfähig, logisch zu denken, und sie ernähren sich nur von einheimischen Dingen. Dazu gehören auch tote Tiere. Außerdem stopfen sich mit Kumarin, Sfarix und anderen Alkaloiden voll, die wir nicht kennen. Diese Stoffe machen sie unberechenbar. Einmal musste ich dem Sohn eines ihrer Häuptlinge, der von einem wilden Tier ins Bein
Weitere Kostenlose Bücher