Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
sich daran –, aber nur als Beschimpfung. Die Wissenschaftler von Ta-Shima jedoch verwendeten den Begriff »Schimäre«, um komplexe transgenetische Konstruktionen zu bezeichnen, die dank einer Technik erschaffen werden konnten, die weit über das hinausging, was mit anderen Methoden möglich war.
»Nachdem man bei den Asix die Experimentierphase hinter sich gelassen hatte«, fuhr Maria fort, »ist man sich schnell darüber klar geworden, dass es nötig war, eine Gruppe zu schaffen, die die Macht ausübte und in der Lage war, diese Macht nicht zu missbrauchen. Diese Gruppe sind wir. Deshalb wurde unsere genetische Struktur ebenfalls modifiziert – mit einer Methode, die nur unsere Clan-Begründerin, Maria Jestak, anzuwenden vermochte, und niemand sonst, weder vor ihr, noch nach ihr. Sie hat sich dabei nicht auf das klassische System beschränkt, das sie zu Beginn bei den eingeführten Pflanzen und Tieren benutzt hatte, um sie an unser Klima und unsere Sonne anzupassen. Auch bei den ersten Versuchen mit den Asix hat sie übrigens das klassische System angewandt, indem sie ein Gen eingesetzt hat, das von einer anderen Art stammte, um die Merkmale des Organismus zu verändern. Auf diese Weise kann man Kapazitäten entwickeln, die es spontan so niemals gegeben hätte, allenfalls nach einer Anpassungszeit von mehreren tausend Jahren. Obwohl seither Hunderte von Jahren vergangen sind, in denen wir mit großer Sorgfalt die Forschungen Maria Jestaks studiert haben, wüsste ich nicht, wo ich ansetzen sollte, um diese Arbeiten wieder aufzunehmen. Es ist ihr gelungen, im Labor ein Gen mit einem äußerst präzisen Verhaltenscode aufzubauen, eine Art Sperre, die es den Shiro unmöglich macht, physische oder andere Aggression gegenüber einem Asix zu zeigen – verbunden mit einer instinktiven Zuneigung zur anderen Rasse, gewürzt mit einer guten Prise sexueller Anziehungskraft. Dann hat sie das Gen in das Heterochromatin der Shiro eingesetzt.«
Als Maria die fragende Miene Suvaïdars sah, tappte sie ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden, bevor sie schließlich die Erklärung anfügte:
»Es handelt sich dabei um genetisches Material, das sich komprimiert im Kern befindet und unterdrückte Gene enthält.«
»Wenn es sich um ein unterdrücktes Gen handelt, wie kann es sich denn manifestieren?«, fragte Suvaïdar.
»Der Ausdruck des Gens«, sagte Maria, die auf dem exakten Terminus beharrte, »wird offensichtlich durch die Demethylation des Heterochromatins erreicht.«
»Ich bedaure, Frau Doktor, ich muss vergessen haben, was ich an der Universität zu diesem Thema gelernt habe, und in den letzten Jahren habe ich mich überhaupt nicht mehr damit beschäftigt.«
»Mit anderen Worten, du kannst mir nicht folgen. Schon gut. Die Demetylation wird von einem äußeren Faktor induziert, doch in unserem Fall griff sie – anders als allgemein üblich – nicht bereits beim Embryo ein, sondern später, als das Individuum sich bereits ausgeprägt hatte. Um den Prozess auszulösen, war zudem die Anwesenheit einer charakteristischen hormonellen Konzentration nötig, die auf sexuelle Reife hindeutete. Das ist ein extrem komplexes System, das nahezu perfekt war, als Maria starb. Im Lauf der folgenden Jahrhunderte war nichts weiter nötig als einige minimale Justierungen, um die Komponenten präzise zu dosieren, die in unseren beiden Rassen interagieren: Wenn die Lehrer bei den Asix-Schülern nicht die Reitpeitsche einsetzen, liegt es nur daran, weil es nicht notwendig ist, da ein Asix stets sein Bestes gibt, um die Aufgabe zu erfüllen, die ihm übertragen wird. Die heranwachsenden Shiro jedoch sind von Natur aus rebellisch. Sie brauchen einen strengen Tutor und eiserne Disziplin. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Die Shiro-Lehrer wären nicht in der Lage, einen Asix körperlich zu züchtigen.«
»Aber ein genetischer Code für ein physisches Element oder eine bestimmte Charaktereigenschaft und nicht für ein Verhalten ...«
Während sie sprach, wurde Suvaïdar sich ihres Widerspruches bewusst, doch bevor sie zurückrudern konnte, wurde sie von der schneidenden Stimme Marias unterbrochen:
»Sag nicht so etwas Dummes. Wie kommt es wohl, dass dieNékos in der Gruppe jagen? Oder dass bei den lakustrischen Drachen, die ihre eigenen Artgenossen fressen, die Jungen von Geburt an wissen, dass sie vor den Erwachsenen fliehen müssen, wenn sie nicht aufgefressen werden wollen? Das ist ein instinktives Verhalten.«
»Ich kann
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