Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
stellte einen Holo-Projektor an. Mitten im Zimmer erschien ein Bild, das alle Schulkinder kannten: die schematisierte Zeichnung zweier aufgerollter Fäden, die die Doppelspirale der DNA bildeten. Maria zoomte das Bild heran. Nukleotide erschienen, dargestellt durch Bereiche, von dem jeder die Indikation der Stickstoffbasis enthielt – A, G, T und C.
Eine weitere Geste Marias bewirkte, dass der ganze Raum sich mit Doppelspiralsträngen füllte.
»Hier siehst du das Genom eines Asix«, sagte sie. »Du weißt, wie diese Rasse entstanden ist?«
»Mehr oder weniger, in groben Zügen. Zu Beginn der Kolonisation hat man versucht, Wesen zu bekommen, die ein ausgeprägtes Gehör, einen scharfen Blick und eine große physische Kraft besaßen. Gleichwohl war man sich bewusst, dass die korrespondierenden Gene sich auch für eine andere Art von Intelligenz kodifizieren ließen. Sie interferierten diese mit der Erhöhung der Lebensdauer.« Suvaïdar sah Marias Gesichtsausdruck und fragte zögerlich: »Oder irre ich mich?«
Die Jestak antwortete nicht, doch ein Teil des Bildes begann sich schwindelerregend zu vergrößern und wie bei einer Kamerafahrt vorüberzuziehen.
Suvaïdar schaute neugierig hin. Sie war sich nicht sicher, ob sie die genetische Information, die in der Struktur von drei Milliarden Basen kodifiziert war, richtig las: ACTGGCTA ... das Ganze schien endlos zu sein. Doch sie konnte gut erkennen, dass ungefähr ein Drittel der Sequenzen in Blau und ein weiteres Drittel in Rot dargestellt wurde.
Ein neues Bild ersetzte das vorherige.
»Shiro«, sagte Maria Jestak kurz und knapp.
Die Stränge zogen erneut vorüber, mit derselben Kette – GCTA –, ohne dass ein Element in den Vordergrund rückte, abgesehen von einer kurzen Sequenz in Rot und einer anderen in einem leuchtenden Schwarz.
»Die farbigen Sequenzen stehen für genetische Eingriffe«, sagte Maria, »die in Rot und Blau beziehen sich auf klassische Interventionen, die in Schwarz stehen für eine Operation, die ›nicht biologische Transplantation‹ genannt wird. Wir konnten eine davon mit Sicherheit identifizieren, aber ich habe den Verdacht, dass es noch weitere gibt.«
»Mir war bekannt, dass man bei den Asix viele Modifikationen vorgenommen hat, aber was hat man bei den Shiro getan – sieht man davon ab, dass man eine Resistenz gegen Infektionen geschaffen und den Alterungsprozess hinausgezögert hat?«, fragte Suvaïdar. »Die Eingriffe, die die Erbkrankheiten ausgemerzt haben, mussten ja nicht gesondert angezeigt werden. Im Vergleich zu einer normalen menschlichen DNA verändern sie die DNA nicht.«
Sie wollte sich gerade verbessern, was ihre Bezeichnung »normale menschliche DNA « betraf, doch ihre Gesprächspartnerin korrigierte sie nicht, und so ließ auch sie es sein.
»Der mittlere Intelligenzquotient der Asix liegt dreißig Prozent unter unserem – das weißt du, oder? Und du weißt auch, dass sie uns gegenüber einen angeborenen Respekt empfinden und den Anordnungen gehorchen, die wir ihnen erteilen, selbst wenn sie den Grund dafür nicht kennen. Übrigens hast du gestern den Beweis dafür mit eigenen Augen erlebt.«
»Das war nur ein Kind. Wäre er erwachsen gewesen, hätte er dem willkürlichen und absurden Befehl ganz sicher nicht Folge geleistet.«
»Ja, das stimmt. Wenn ein erwachsener Asix einen Befehl erhält, dem jeglicher Sinn fehlt, wird er zumindest bei einem Shiro nachfragen, dem er vertraut – etwa bei dem Erzeuger eines seiner Halbkinder oder bei einem Fechtmeister. Und wenn es sich um etwas Gravierendes handelt, wird er womöglich sogar den Berater der Saz Adaï fragen. Doch wenn der Befehl augenscheinlich vernünftig ist, allerdings nur augenscheinlich? Was dann? Was glaubst du, würde mit einer autoritätsgläubigen und weniger intelligenten Rasse passieren, wenn man da nicht einen Grenzwert eingebaut hätte?«
»Was für einen Grenzwert, Jestak Adaï? Und wie wurde dieses Limit festgelegt?«
Mit einer weiteren Geste ließ Maria die Bilder verschwinden.
»Als man die Asix erzeugt hat ... nun guck nicht so geschockt, ›erzeugt‹ ist der passende Begriff. Sie sind Schimären aus dem Labor.«
Sie betonte das Wort »Schimären« zusätzlich, indem sie verächtlich den Mund verzog. Schon bevor man ihre Vorfahren gezwungen hatte, Estia zu verlassen, hatten ihnen die Fanatiker vonLandsend das Prädikat »Abscheulichkeit« verpasst. Der Begriff existierte noch in der Universalsprache – Suvaïdar erinnerte
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