Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
den Märkten die Überschüsse verkauften, die nach Abzug der Quoten für den Clan und die notwendigen Lebensmittel für den Eigenverbrauch übrig blieben. Außerdem rollten Karren mit Lebensmitteln für die verschiedenen Clans über die Straße. Fast alle wurden von kleinen Asix gefahren, sechs oder sieben Trockenzeiten alt. Sie würden die Waren im Hauptgebäude abgeben, bevor sie dann zur Schule gingen.
Mehrere Stunden ging Suvaïdar praktisch allein die Straße entlang, die sich wie ein Band vor ihr erstreckte. Hin und wieder überquerte sie Brücken, die die Bewässerungskanäle überspannten. Mittags verließ sie die Straße, um ein paar Schritte in einen Obstgarten zu gehen und dort zwei gelbe, sehr reife Birnen zu pflücken, die sie anschließend im Gehen aß. Der Nachmittag war bereits hereingebrochen, als sie beschloss, eine Pause zu machen.
Sie stand am Ufer eines der vielen Bewässerungskanäle, die die Straße querten, schaufelte etwas Wasser in ihre Hände und trank es. Dann setzte sie sich hin, den Rücken an einen Pfeiler der kleinen Steinbrücke gelehnt, über die sie gerade gegangen war, um sich ein wenig auszuruhen. Aus ihrem Beutel nahm sie Brotund gebratenen Fisch, der in ein Bananenblatt gewickelt war, und aß beides auf. Dann trank sie wieder frisches, klares Wasser und legte sich mit unter dem Kopf verschränkten Armen hin, um sich die Arabesken anzusehen, die die Wolken malten. Feine weiße Federwölkchen, die wie Wattebäusche aussahen, zogen am Himmel dahin, getrieben von den stärkeren Winden in den tieferen Schichten der Atmosphäre; am Horizont waren große graue Stratocumuli zu sehen, die sich so langsam bewegten, dass man es kaum wahrnehmen konnte. Es war friedlich, und für einen Augenblick glaubte Suvaïdar, die Außenweltler verstehen zu können, die die Schönheit der Landschaft bewunderten und selbst hinter einer Wolke etwas Geheimnisvolles entdeckten, obwohl sie nichts weiter war als kondensierter Wasserdampf mit der Verheißung auf Regen.
Dann fühlte sie die ersten Regentropfen auf dem Gesicht. Schnell hüllte sie sich in ihren Mantel, zog die Kapuze fast bis über die Augen und ging weiter. Die Landschaft veränderte sich nicht, und nach gut acht Stunden Fußmarsch schienen die Berge, die aus dem Nebel vor ihr auftauchten, nur noch einen Schritt von ihr entfernt zu sein.
Auf Wahie, überlegte Suvaïdar, hätte sie nicht den Mut gehabt, zu Fuß zu reisen, ganz allein auf einer einsamen Straße, aber hier fühlte sie sich sicher. Niemand auf Ta-Shima würde sie angreifen. Niemand konnte sie zu berauben, denn sie besaß nichts. Das war eine Form der Freiheit wie jede andere, obwohl Rasser anderer Meinung wäre. Kein Asix würde ihr Böses tun und es auch keinem anderen erlauben. Außerdem besaß niemand auf Ta-Shima eine gefährlichere Waffe als sie.
Der elektrische Pendelverkehr, der die regelmäßige Verbindung zwischen den Städten der Hochebene sicherstellte, fuhr an Suvaïdar vorbei. Die Fahrzeuglenkerin verlangsamte die Fahrt und fragte sie, ob sie mitfahren wolle, doch sie lehnte ab. Sie war an diesem Tag nicht weit gelaufen; sie hatte gerade einmal vierzig Kilometer zurückgelegt. Und sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, was die Jestaks sagen würden, wenn sie für eine so kurze Strecke Geld für eine Fahrkarte aus dem Fenster geworfen hätte.
Am Ende des Tages wurde sie von einem Karren überholt, der leer zurückkam. »Ich fahre zur Blüte des Apfelbaums, meinem Bauernhof, und bleibe noch fünf Kilometer auf der Hauptstraße. Möchtest du auf meinen Karren steigen?«, fragte die alte Asix auf dem Fahrersitz.
Dankbar nahm Suvaïdar an, erfreut, sich ein wenig ausruhen zu können. Als sie die Gabelung erreichten, die zu dem Bauernhof führte, schlug die Asix ihr vor, die Nacht dort zu verbringen.
»Wie weit ist es noch bis zum Viehbetrieb Van Voss?«, erkundigte sich Suvaïdar.
»Die Ländereien beginnen nach der doppelten Brücke, das ist noch eine Stunde Fußmarsch. Aber bis zum Haus musst du mit mindestens zwei Stunden rechnen.« Die alte Frau überlegte kurz; dann verbesserte sie sich: »Jedenfalls für einen jungen, kräftigen Asix, der gut in Form ist. Aber du bist seit dem Morgen unterwegs, oder?«
»Wenn ich zu müde bin, schlafe ich einfach unter einem Baum.«
»Leg dich ja nicht auf den Boden«, riet ihr die Asix. »Von Zeit zu Zeit gibt es hier giftige Skorophone. Natürlich töten wir sie, wenn wir sie entdecken, aber sie vermehren sich
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