Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
Vom Netzwerk:
sah dabei sehr ernst aus. »Salman war dumm genug, einem Händler, mit dem wir seit Jahren Geschäfte gemacht hatten, den Saft aus der Daïbanblume anzubieten. Diesen Fehler hat er teuer bezahlt. Was man auch über ihn sagt, ich weiß sehr gut, dass deshalb drei Schüler dieses grauenhaften Asix-Meisters ihn der Reihe nach zum Duell gefordert haben. Aber dass er einen von uns an die Fremden verkaufen würde ...«
    Er verstummte und schüttelte den Kopf.
    Suvaïdar war beinahe geneigt, ihm zu glauben, als sie bemerkte, dass seine Miene plötzlich einen grimmigen Ausdruck angenommen hatte. Er schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an, als wäre er verrückt geworden, und warf sich auf sie, wobei er einen rauen Schrei ausstieß. Mit aller Kraft schlug er auf sie ein. Es war so überraschend geschehen, dass Suvaïdar nicht reagieren konnte und von dem Felsen, auf dem sie gesessen hatten, in das eiskalte Wasser eines der Becken fiel, die der Bach weiter unten bildete.
    Die Eiseskälte nahm ihr den Atem. Es dauerte etliche Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte und mit zwei kräftigenSchwimmstößen zum Ufer gelangte. War dieser Bur-Junge verrückt geworden? Hatte er geglaubt, sich auf diese Weise mit ihr messen zu können?
    Suvaïdar kletterte schnell ans Ufer und bereitete sich darauf vor, den jungen Burschen zu verfolgen. An dieser Stelle war das Tal so schmal, dass es nur einen einzigen Weg am Bach entlang gab. Dieser Verrückte konnte nur eine der beiden Richtungen eingeschlagen haben; sie würde ihn ganz bestimmt sehen.
    Doch Suvaïdar musste nicht weit laufen. Evin Bur lag auf dem Felsen, auf dem sie gesessen hatten. Seine Stirn war von einem Gesteinsbrocken zerschmettert, der sich offenbar an der Bergflanke gelöst hatte. Suvaïdar konnte erkennen, dass der Stein sie getroffen hätte, hätte der unverhoffte Fausthieb sie nicht ins Wasser befördert.
    Sie untersuchte Evin rasch, aber sie konnte nichts mehr für ihn tun. Aus der Wunde sickerte nicht nur Blut, sondern auch Hirnmasse. Suvaïdar betrachtete den Toten fassungslos, denn ihr war klar, dass hier etwas nicht stimmte. Als sie den Blick hob, sah sie, dass in halber Höhe der Felswand ein graues Steingebäude stand. Ein Felsbrocken aus der Bergflanke wäre von dem Gebäude aufgehalten worden und hätte Evin niemals treffen können. Woher war der Stein dann gekommen?
    Sie schaute sich die Wunde noch einmal an und bemerkte etwas, was ihr von Anfang an verräterisch hätte erscheinen müssen: Wäre ein Wurfgeschoss von oben gekommen, vom Berg, hätte es ihn oben auf dem Kopf getroffen und nicht an der Stirn. Denn als es passiert war, hatte Evin nicht ausgestreckt dagelegen, sondern mit geradem Rücken auf dem Felsen gesessen.
    Das war Mord!, sagte sie sich ungläubig. Das ist doch nicht möglich!
    Das Rauschen des Baches verschluckte alle anderen Geräusche. Wer immer den Stein geworfen hatte, musste sofort danach geflohen sein. Oder war er vielleicht noch da, versteckt hinter einem Felsvorsprung oder einem Fenster, um festzustellen, ob sein Anschlag erfolgreich gewesen war? Und wenn es so war – was würde ihr, Suvaïdar, als einziger Zeugin passieren?
    Von einem Moment auf den anderen hatte Suvaïdar ihre Entscheidung getroffen. Sie sprang ins Wasser, um ein zweites Eisbad zu nehmen. Dabei hielt sie sich so nah wie möglich an der Felsmauer auf, die sie vor Blicken schützte. Sie erreichte die Dämme aus Kies, die das Becken umschlossen, stieg darüber hinweg und sprang. Der Höhenunterschied betrug nur ein paar Meter, doch es war der letzte Damm; von dort fiel der Gebirgsbach kaskadenartig in die Tiefe, bevor er sich in eine Stromschnelle verwandelte.
    Die Gewalt, mit der das Wasser herabstürzte, ließ Suvaïdar das Gleichgewicht verlieren. Der Strom erfasste sie und machte es ihr unmöglich, sich aufrecht zu halten oder zu schwimmen. Ihr Kopf stieß heftig gegen die Felsen. Bald wusste sie nicht mehr, wo oben und unten war und konnte kaum noch atmen. Sie ließ sich vom Wasser mitreißen; etwas anderes hätte sie auch gar nicht tun können. Jedes Mal, wenn die Launenhaftigkeit des Gor sie an die Oberfläche trug, atmete sie gierig und in tiefen Zügen ein. Dabei versuchte sie, sich mit den Armen zu schützen.
    Wenn jemand mich gesehen hat, schoss es ihr durch den Kopf, wird er mich für irgendein Kleidungsstück halten, das ins Wasser gefallen ist, oder für den Leichnam eines Shiro – wenn es denn die Leiche eines Shiro ist, auf die der Mörder

Weitere Kostenlose Bücher