Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
Vom Netzwerk:
angenehmer Ort. Suvaïdar hatte das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein, denn auf dem ihren kannte sie nur Gaia, Niasau, den Dschungel und das Tal, wo sie damals die wundervolle Nacht der drei Monde erlebt hatte.
    Nachdem sie die Flaschen mit den Blutproben dem örtlichen Haus des Lebens anvertraut hatte, verbrachte sie drei Tage damit, durch die Stadt zu gehen und die Luft zu atmen, die prickelte wie der Weißwein von den Hügeln. Sie bewunderte die tiefen Felsschluchten und die gezackten Berggipfel. Man konnte sie von überall in der Stadt sehen; man musste dazu nur den Blick heben.
    Im nördlichen Viertel der Stadt war die Landschaft überwältigend. Das Tal von Gor, in das Gorival sich schmiegte, wurde von einer Felsschlucht begrenzt. Sie ließ nur Platz für einen ungestümen Gebirgsbach und zwei enge Reihen von Gebäuden im Schatten der Felswände. Auf der östlichen Seite waren diese Wände steil; die im Westen dagegen waren in sich zusammengesunken und hatten große, erratische Blöcke gebildet, die von kleinen, abschüssigen Wiesen unterbrochen wurden. Suvaïdar hatte noch nie Gelegenheit gehabt, ein Gebirge aus der Nähe zu betrachten, denn Wahie war ein vollkommen ebener Planet. Und als sie mit Tarr zusammen gewesen war, hatte sie praktisch nur das Innere eines Landhauses gesehen.
    Neugierig und fasziniert zugleich machte sie sich, die Nase in die Luft gestreckt, auf die Suche nach dem kleinen Stück Himmel, der zwischen den abschüssigen Felsen sichtbar blieb. Sie achtete nicht darauf, wohin sie ihre Schritte setzte, bis sie unvermittelt gegen einen Shiro prallte. Der junge Mann machte einen Sprung zurück und stieß einen Schrei aus, die Hand am Messergriff.
    »Kannst du nicht gucken, wohin du gehst?«, fragte er gereizt.
    »Das könnte ich zu dir genauso gut sagen«, antwortete Suvaïdar schlecht gelaunt. Dann dachte sie daran, dass die Fäden in ihrem Gesicht sich erst vor einem Monat aufgelöst hatten. Wenn sie weiter so unhöflich blieb, hatte sie gute Chancen, bald wieder neue Wunden vernäht zu bekommen.
    »Bur to Sevastak«, stellte der Mann sich ungelenk vor.
    »Huang to Narufeni.«
    »Du kommst nicht aus Gorival.«
    »Ich komme aus Gaia«, antwortete sie, »ich bin vor kurzem angekommen und konnte nicht umhin, mir sofort das Gebirge anzusehen. Es ist so faszinierend, dass ich dich übersehen habe.«
    Das war alles, was sie sagen konnte, denn hätte sie sich weiter entschuldigt, hätte sie sich todsicher im Fechtsaal wiedergefunden.
    Der Shiro ließ den Griff seines Messers los und trat einen halben Schritt zurück. Dabei schaute er Suvaïdar nachdenklich an. Er war ein hübscher Mann mit großen Augen und dichten Wimpern, und seine vollen Lippen ließen ihn fast ein bisschen feminin wirken. Sein ausgeprägtes Kinn jedoch hatte nichts Unmännliches.
    »Bist du die Ärztin Huang?«
    »Woher weißt du das?«
    »Gorival ist kleiner als Gaia. Nichts bleibt hier länger als eine halbe Stunde ein Geheimnis. Die Asix deines Hauses haben bereits der Hälfte der Bevölkerung von deiner Ankunft erzählt.«
    Er zögerte einen Moment, dann fragte er förmlich in der Hochsprache:
    »Shiro Adaï, ist es erlaubt, eine Bitte zu äußern?«
    »Es ist erlaubt«, antwortete sie.
    Er warf ihr einen schrägen Blick zu; dann verließ er die Straße und ging am Ufer des Gebirgsbaches entlang. Suvaïdar folgte ihm. Der junge Mann musste sich hier sehr gut auskennen, denn an der Ecke eines Gebäudes drehte er sich um und führte sie zu einem abgerundeten Felsblock, auf dem zwei Personen bequem Platz fanden. Hier war der Blick frei auf den Felsen, der zu ihrenFüßen eine Reihe großer Becken bildete, in denen das Wasser durch Dämme aus Kies gestaut wurde.
    Suvaïdar setzte sich in die Ecke, den Rücken gegen die graue Wand gelehnt. Der Mann kauerte sich neben sie und schlug die Beine übereinander.
    »Ich bin Evin Bur, der Bruder derselben Mutter von Eronoda, die Saz Adaï des Clans war, bevor sie Minenarbeiterin in Nova Estia wurde.«
    Suvaïdar schaute ihn fragend an und wartete, dass er fortfuhr.
    »Ich weiß, dass Fior Sadaï dir die Ehre erweist, dich hin und wieder zu empfangen, deshalb möchte ich dich bitten ...« Er hielt inne, offensichtlich verlegen; dann fuhr er fort: »Es war die vorherige Sadaï, die Eronoda verurteilt hat, und ich frage mich, ob man ihre Strafe jetzt ein wenig verkürzen könnte.«
    Er musste sehr an seiner Schwester hängen, wenn er sich zu solch einer Bitte herabließ. Aber

Weitere Kostenlose Bücher