Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Bissigkeit schnell wieder verflog. Freundlich fuhr sie fort:
»Der enge Rat hat beschlossen, ihnen nicht zu gestatten, über Gedeih und Verderb unseres Planeten zu bestimmen, denn das wäre einer der schlimmsten Verstöße gegen das Sh’ro-enlei. Und was bleibt einem Shiro noch, der seine Ehre verloren hat? Sollten sie uns angreifen, werden wir selbstverständlich reagieren, auchwenn es ein aussichtsloser Kampf wäre. Aber auf jeden Fall müssen wir verhindern, dass die Asix mit uns zusammen ausgerottet werden. In den letzten Jahrzehnten haben die Ratsmitglieder vergeblich versucht, eine Lösung dafür zu finden. Aquit Jestak hatte dann die geniale Idee. Was könnte deiner Meinung nach einen Asix davon abhalten, einem Shiro, der in Gefahr ist, zu Hilfe zu eilen?«
»Nichts auf der Welt«, antwortete Suvaïdar ganz selbstverständlich.
»Irrtum! Es gibt für einen Asix etwas noch Kostbareres als das Leben eines erwachsenen Shiro – das Leben eines Shiro-Babys. Wenn wir uns dem Kampf stellen müssen, ist es unwahrscheinlich, dass es uns gelingt, alle Asix zu retten. Aber ich kann dir versichern, dass die Pflegemütter, denen wir die kleinen Kinder anvertraut haben oder die Mädchen, die eine befruchtete Eizelle von Shiro-Eltern in sich tragen, alles tun würden, um diese zu schützen. Was immer auch geschieht, daran lässt sich nicht rütteln, selbst wenn die Asix dafür einen von uns sterben ließen. Die Sitabeh wären ganz gewiss darauf aus, alle erwachsenen Shiro zu töten, doch viele Asix-Weibchen würden sich retten können, und selbst einige Asix-Männchen, die den Frauen helfen würden, die kostbaren Föten in Sicherheit zu bringen, die wir ihnen eingesetzt haben. Nach ein paar Monaten kämen die kleinen Shiro auf die Welt, und einige Trockenzeiten später wären sie erwachsen. Unsere Gesellschaft würde eine Neugeburt erleben und so wunderbar frei sein, wie es zuvor gewesen ist.«
Suvaïdar stellte sich die in Angst und Schrecken versetzten Asix-Frauen vor, die vor den bewaffneten Soldaten flohen, und es fiel ihr schwer, einen Brechreiz zu unterdrücken. Die Asix konnten für die Außenweltler arbeiten, wie in Niasau an Bord der Raumschiffe. Wenn erst einmal alle Shiro – diese cholerischen Wesen, die stets bereit waren, den Säbel zu schwingen – tot wären, was würden die Fremden dann tun? Sie würden vielleicht einige Monate damit verbringen, von einem Bauernhof zum nächsten zu laufen, um den Menschen vor Ort ihre Religion und ihre Gesetze zu erklären, doch sie würden nur auf völliges Unverständnis stoßen. Früher oder später würden sie den Mut verlieren und wieder fortgehen, da sie von Natur aus sprunghafte Wesen waren. Rovin hatte recht: Man konnte nicht einfach zusehen, wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Asix hing.
*
Suvaïdars Erleichterung war unverändert. Ein paar Stunden lang hatte sie sich schwergetan, sich auf die Untersuchungsberichte zu konzentrieren, die Sevrin Jestak, die Kollegin Yorikos, erstellt hatte. Sevrin hatte eine Routineuntersuchung mit ihrem Informatiksystem veranlasst und war gerade damit beschäftigt, diese zu illustrieren.
»Das ist nur von geringer Bedeutung für die Gesamtheit der Populationsdaten, aber schaut euch das an: Ich habe die Geburtslisten der letzten fünfzig Trockenzeiten genommen und auf gut Glück tausend Namen herausgesucht – die eine Hälfte Shiro, die andere Hälfte Asix. Dann habe ich nachgeprüft, wie viele von ihnen jeweils zu Beginn jeder Trockenzeit noch am Leben waren. Schaut euch die Grafik an. Das Rot steht für die Asix, das Blau für die Shiro.
»In den ersten fünf Jahren verliefen die beiden Linien parallel, dann fiel die blaue Linie bei der zehnten Gegenüberstellung um zwei Einheiten ab, dann eine bei der fünfzehnten, dann aber fünf bei der achtzehnten ...«
»Die Volljährigkeitsprüfungen«, stellte Yoriko halblaut fest.
»Danach fielen die Linien unregelmäßig. Von einer Einheit in einem Jahr, dann wieder eine längere Zeit gar nicht, bis sie dann von Neuem um drei Einheiten abfiel. Was das laufende Jahr betraf, waren in der Untersuchungsgruppe noch vierhundertsiebenundneunzig Asix am Leben, aber nur noch dreihunderteinundsechzig Shiro.«
»Hast du die Gründe für den Abstieg verifiziert?«
»Acht Unfälle«, antwortete Sevrin, »drei davon betrafen die Asix, vier waren Clan-Ausstoßungen. Der Rest sind Duelle und die Ausübung des Shiro-Privilegs, wobei in den ersten Jahrendie Duelle überwogen. Danach
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