Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
der eine Wunde versorgen kann. Außerdem hätte ich gern eine zweite Frau dabei. Die Jungs sind sehr gut mit dem Messer in der Hand, aber was den Grips anbetrifft ... Männer denken nun mal weniger nach, das liegt in ihrer Natur. Ich nehme an, du kennst die essbaren Wildpflanzen, oder?«
»Natürlich.«
»Kennst du dich auch mit den Medizinpflanzen aus?«
»Theoretisch ja, aber ich glaube nicht, dass sie in den Prüfungen eine Rolle spielen. Im Allgemeinen kann man sie nicht einfach so benutzen. Sie müssen gekocht und anschließend filtriert werden, um eine Infusion vorbereiten zu können.«
»Also gut. Du musst dich nicht sofort entscheiden, aber vor dem Morgengrauen hätte ich gern eine Antwort von dir. Die Gruppen bilden sich gerade, und ich möchte nicht, dass wir zum Schluss zu viert bleiben oder uns mit der zweiten Wahl begnügen müssen.«
Lara fühlte sich geschmeichelt, weil Rico sie als erste Wahl betrachtete. Doch sie fühlte sich verpflichtet, Rico die Wahrheit zu sagen, und gab zu, dass ihre körperliche Verfassung alles andere als optimal sei. Die Gruppe könne dadurch ins Hintertreffen geraten.
»Wenn du bei uns mitmachst, wirst du am Kampftag in Form sein, dafür sorge ich höchstpersönlich«, sagte Rico und lächelte, aber ihr Ausdruck konnte Lara nicht beruhigen.
»Kann mein Bruder Wang auch bei uns mitmachen?«
Rico schüttelte den Kopf. »Wir sind komplett.«
Doch nicht nur Rico wandte sich an Lara. Der Zweite, der ihr vorschlug, sich einer Gruppe anzuschließen, war Giao, jener Klassenkamerad, der bei ihrem ersten Essen im Haus des Clans so getan hatte, als würde er sie nicht kennen. Spontan wollte Lara ablehnen – als Revanche sozusagen –, doch persönliche Gefühle sollten bei der Wahl der Gruppe keine Rolle spielen. Also fragte sie ihn nach den anderen in der Gruppe: Es waren nur drei; also gab es noch Platz für Wang.
Lara bedankte sich höflich für die Ehre, die Giao ihr mit seinem Vorschlag hatte zuteilwerden lassen und bat um eine Stunde Bedenkzeit. Dann machte sie sich auf die Suche nach ihrem Bruder, konnte ihn in der Akademie aber nirgends finden. Doch die Sache war so wichtig, dass Lara beschloss, gegen das Verbot zu verstoßen, sich Dols Haus zu nähern. Sie rief von draußen nach Wang, damit niemand behaupten konnte, sie hätte das Haus ihrer Pflegemutter betreten. Als Wang zu ihr kam, erzählte sie ihm von den beiden Möglichkeiten, die man an sie herangetragen hatte. Zu ihrem Erstaunen sah sie, wie Wang rot wurde.
»Ich ... ich bin schon in einer Gruppe«, stammelte er.
Einen Augenblick war Lara sprachlos; dann überkam sie eine Gefühl der Bitterkeit. Schließlich hatte sie nur deshalb gezögert, Ricos Angebot anzunehmen, weil Wang nicht hätte dabei sein können. Und nun erfuhr sie, dass Wang sich schon mit anderen zusammengetan hatte, ohne auch nur im Entferntesten an sie, seine Schwester, zu denken, die viel größere Schwierigkeiten hätte, von den Besseren akzeptiert zu werden.
Trotzdem sagte sie höflich: »Ich wünsche dir für die Prüfungen viel Glück.« Dann verbeugte sie sich, wie die Regeln es verlangten. Es war das erste Mal, dass sie sich vor ihrem Bruder verneigte. Als sie sich zum Gehen wandte, sagte Wang:
»Warte, Lara. Sei bitte nicht böse auf mich!«
»Ich bin nicht böse auf dich, kleiner Bruder. Warum sollte ich? Ich gehe jetzt zu Rico und sage ihr, dass ich ihr Angebot annehme, bevor sie jemand anderen findet.«
Lara hatte die protokollarische Form in der Hochsprache verwendet und ihn »Cohey« genannt, ohne den respektvollen Anhang Adaï. Damit wollte sie deutlich machen, dass sie ihn gemäß der strengen Hierarchie des Clans als Untergebenen betrachtete.
»Du hast dich verändert«, sagte Wang. »Mir wäre es lieber gewesen, du hättest mich angeschrien, wie du es früher getan hast. Seitdem du nicht mehr hier wohnst, bis du eine Andere geworden.«
»Du wirst verstehen, warum, wenn du nach bestandener Volljährigkeitsprüfung selbst in das Haus des Clans ziehen wirst«, erwiderte Lara.
Nach dieser spitzen Bemerkung ging sie. Ihr war bewusst, dass es für keinen von ihnen eine Rückkehr geben würde.
Und schon bereute sie ihre Worte.
*
Rico hatte es bitterernst gemeint, als sie Lara versprochen hatte, sie körperlich in Bestform zu bringen. Gemeinsam mit den drei anderen aus der Gruppe unterwarf sie Lara einem so intensiven Training, wie sie es noch nie erlebt hatte.
Wenn die Sonne unterging und alle anderen bereits schliefen,
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