Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
haben – damals, als er in Neudachren studiert hatte.
»Nun denn«, sagte er in das erwartungsvolle Schweigen der Damen hinein, »ich muss jetzt gehen. Meine Schwester wartet auf mich.«
Und er ging mit seinem Tablett auf und davon und ließ die drei Frauen noch verwirrter zurück, als sie es vor seinen Erklärungen ohnehin schon waren.
7
Ta-Shima
Es war absolut
kein Vergnügen, die Trockenzeit im Haus des Clans verbringen zu müssen. Da half es auch nichts, dass Lara andere Shiro ihres Alters treffen konnte, die als Mündel im Hause des Huang-Clans wohnten oder Kontakt zu den jungen Erwachsenen pflegten, die ihre Volljährigkeitsprüfungen gerade erst bestanden hatten. Letztere forderten von den Jugendlichen, deren Haar noch lang war, strikten Respekt und Gehorsam. Schon bei den geringsten Vergehen gab es Strafen, und diese fielen bei den »frischen« Erwachsenen sehr viel strenger aus als bei denen, die ihre Volljährigkeitsprüfungen schon vor Jahren absolviert hatten.
Lara konnte nicht mehr im Garten spazieren gehen und so tun, als würde sie lernen, wie sie es bei Dol gern getan hatte. Der erste Erwachsene, auf den sie träfe, würde sofort irgendeine Beschäftigung für eine junge Müßiggängerin finden. Seitdem sie nicht mehr für den Arbeitsdienst eingeteilt war, den sie in der Regel im Lebenshaus geleistet hatte, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, regelmäßig die Akademie aufzusuchen. Auf diese Weise konnte sie auch Wang treffen, ohne gegen das Besuchsverbot bei Dol verstoßen zu müssen. Während der Trockenzeit gab es – abgesehen von den Duellen, die meist zwischen den ganz jungen Erwachsenen stattfanden, die stets bereit waren, sich über mehr oder weniger eingebildete Beleidigungen aufzuregen – zusätzlich Fechtturniere mit den anderen Clans. Auf diesen Turnieren wurde nur mit Übungswaffen gekämpft, und es lohnte sich oft, sich das Schauspiel anzusehen. Denn es war ein Spektakel.
Lara achtete sorgfältig darauf, sich nicht mit den streitbaren, unversöhnlichen Fechtern messen zu müssen. Von ihrem einzigen Duell mit Cort im Jahr zuvor – weil sie damals noch lange Haare getragen hatten, hatten sie mit Holzwaffen gegeneinander gekämpft – hatte Lara eine weiße Narbe am Rücken unddie Erinnerung an eine tiefe Erniedrigung zurückbehalten. Sie hatte keinen einzigen Treffer anbringen können, und ihr Gegner hatte sich über sie lustig gemacht und sie mit seinen schnellen Angriffen durch den ganzen Fechtsaal getrieben. Lara hatte diese verächtliche Demonstration seiner Überlegenheit gehasst, doch heute bedauerte sie, sich nicht mit Cort ausgesöhnt zu haben. Cort gehörte zu den Vieren, die nicht die Volljährigkeitsprüfungen bestanden hatten. Keine Gruppe wollte ihn; er musste sich ganz allein den Herausforderungen stellen. Unter diesen Bedingungen waren die Erfolgsaussichten gleich null.
Wie nicht anders zu erwarten, war Lara bereits am ersten Turniertag der Clans ausgeschieden. Nun hatte sie nichts anderes zu tun, als sich die Fechter anzuschauen, die besser waren als sie. Die Wettkämpfe fanden in den Stunden vor dem Morgengrauen statt: In der Trockenzeit war es üblich, dass die Ta-Shimoda tagsüber schliefen und nachts alles andere erledigten, also lebten.
Als Lara eines Nachts in die Akademie ging, um bei einem Halbfinale zu assistieren, traf sie überraschend auf eine Ansammlung von Menschen. Ungefähr fünfzig erwachsene Shiro saßen im Schneidersitz rund um die Übungsfläche und sprachen mit gesenkter Stimme. Hinter ihnen hielten sich stehend die Jungen auf.
»Was geschieht hier?«, flüsterte Lara, wobei sie sich einem Mädchen zuwandte, mit dem sie gemeinsam Wäschedienst hatte. Sie hätte lieber einen Asix gefragt, aber merkwürdigerweise war keiner da.
»Ein Duell. Und der Lehrer Midori höchstpersönlich übernimmt den Part des Schiedsrichters.«
»Meister Midori? Wie kommt das denn? Haben die Kämpfer die Blutklingen verlangt?«, fragte Lara beeindruckt.
Ein Erwachsener vor ihnen drehte sich um und warf ihnen einen scharfen Blick zu. Das Mädchen antwortete nur noch mit einem Kopfnicken. Lara hätte gern den Grund für das Duell erfahren, aber sie musste vermeiden, noch einmal aufzufallen. Also schwieg sie und schaute sich nach allen Seiten um. Sie glaubte, Wang an der anderen Seite des Raumes zu sehen, aber die Beleuchtung war spärlich, und sie war sich nicht sicher. Sie hätte es sowieso nicht gewagt, sich einen Weg durch die Reihen der Erwachsenen zu
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