Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
schaffte es nur, ein paar Meter zu gehen, ehe sie wieder hinfiel.
»Lasst mich hier«, sagte sie. »Ich will euer Leben nicht in Gefahr bringen.«
»Mit ein bisschen Übung wird es besser gehen«, ermunterte Lara sie. »Du gehst ein Stück, und wir tragen dich ein Stück. Wirwerden uns ganz in der Nähe des Flusses halten. Das Gelände ist dort nicht so schwierig.«
*
Der zweite Tag verlief ohne nennenswerte Vorkommnisse. Auf dem Boot hatte man ihnen noch ein deftiges Essen serviert, das es ihnen ermöglichen sollte, durchzuhalten, bis sie wieder Sovesta erreicht hätten. In der Zwischenzeit mussten sie sich mit einheimischen Pflanzen begnügen. Doch sie hinkten ihrem Zeitplan hinterher.
Am dritten Tag wachten sie völlig ausgehungert auf. Da in der Nähe eine Daïban-Pflanze wuchs – sollte Lara Recht behalten, war es die letzte, die sie auf ihrer Route antreffen würden –, pflückten sie alle Blätter ab, selbst die von den Zweigen ganz oben. Sie aßen, so viel sie konnten. Die übrig gebliebenen Blätter nahmen sie mit, indem sie sie mit dünnen Streifen Baumrinde zu einem Strauß zusammenbanden. Man nannte die Baumrinde auf Ta-Shima »das Brot des Reisenden«, weil man sie roh verzehren konnte. Sie enthielt sehr viel Stärke, die es ermöglichte, einige Tage zu überleben. Richtig satt wurde man jedoch nicht davon.
»Wenn wir wieder zurück sind«, sagte Mauro, »werde ich in meiner Freizeit freiwillig als Tellerwäscher arbeiten. Dann kann ich in den Küchen vom Essen naschen, wenn das Brot frisch aus dem Backofen kommt, noch ganz heiß und duftend ...«
»Wenn du nicht sofort den Mund hältst, werfe ich dich in den Fluss«, unterbrach Saïda ihn sanft.
Mauro warf einen kurzen Blick auf das schlammige, trübe Wasser. Dann schaute er genauer hin, machte einen Satz vom Ufer weg und stieß einen Warnschrei aus. Eine dreieckige Welle an der Oberfläche bewegte sich geradewegs auf die fünf jungen Leute zu.
»Ein Alligator!«
Alle griffen sofort zu ihren Messern und wichen ein Stück zurück. Das aufgetauchte Tier war mehr als drei Meter lang und hatte mit seiner schuppenbedeckten Haut und dem schrecklichen Maul nichts mit dem Alligator des Ursprungsplaneten gemein.Der Körper war mit Knochenplatten bewehrt, die so scharf wie Messer waren, und die hinteren Gliedmaßen steckten zwischen Schwimmflossen und fächerförmigen Klauen. Die Vorderbeine endeten in langen Fangarmen ohne Schuppen.
Das Monstrum bewegte sich vorwärts und erreichte fast das Ufer. Seine Fangarme peitschten die Luft in Richtung der kleinen Gruppe von Jugendlichen, die ängstlich zurückwich und mit den Messern versuchte, den Angreifer abzuwehren. Saïda und Rico gelang es schließlich, einen Fangarm zu treffen und das Ungeheuer zu verwunden. Es stieß ein wildes Zischen aus, zog seine Fangarme unerwartet wieder ein und zögerte. Dann warf es die Arme von Neuem aus. Dieses Mal schaffte es die Bestie, Rins Knöchel zu umschlingen. Sie zog ihn gnadenlos hin zu ihrem klaffenden Maul.
Der Junge stach panisch auf die Fangarme ein, die ihn ins Wasser ziehen wollten, schaffte es aber gerade einmal, die dicke Haut zu kratzen. Das Ungeheuer schien seine Wunden, aus denen ein paar Tropfen goldgelbes Blut quollen, gar nicht zu spüren. Es konzentrierte sich nun voll und ganz auf seine Mahlzeit, die sich so nah vor seinen Augen befand.
Rico nahm allen Mut zusammen, schlüpfte kriechend unter den Fangarmen durch und kam nahe genug an die Bestie heran, um ihr Messer mit aller Kraft in die Wurzel des Armes zu stoßen, wo die Haut besonders hart war. Es gelang ihr, den Fangarm, der Rin festhielt, am Boden festzunageln. Das Tier schlug wild um sich und stieß wütende Zischlaute aus, ließ seine Beute aber los. Alle gingen vorsichtig zur Sandbank zurück, bis sie außer Reichweite waren.
Sie ließen sich auf die Erde fallen, um wieder zu Atem zu kommen. Der Alligator, der sich mit einem allerletzten Stoß frei gemacht hatte, verschwand im Fluss, Ricos Messer noch immer im Fleisch.
Mit einem Mal bewegte sich das Wasser rund um die Stelle, an der das Tier abgetaucht war. Das Blut hatte andere, im Wasser lebende Fleischfresser angezogen. Die Schlacht spielte sich nun in der Tiefe ab, durch das trübe Wasser vor den Augen anderer versteckt. Hin und wieder tauchte ein Maul oder ein runder Rücken auf, um dann mit einem dumpfen Geräusch wieder in die Tiefe zu tauchen.
»Besser, wir verschwinden von hier, bevor eines dieser Monster auf die Idee
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