Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
hoch, warf sie sich wie ein Bündel über die linke Schulter und ergriff mit der freien rechten Hand das Futteral seines Messers. Dann ging die Gruppe langsam weiter. Nachdem sie einige Kilometer zurückgelegt hatten, wurde Saïda von Mauro abgelöst, dann von Rin und schließlich von Lara, die ihre Kameradin rittlings auf die Schultern nahm.
Rico sagte nichts, zwang sich jedoch die ganze Zeit, ein Stöhnen zu unterdrücken, denn die Schmerzen waren schlimm. Nur ein einziges Mal sagte sie: »Lasst mich hier, ich bin nur eine Belastung für euch.«
Niemand antwortete ihr.
Das an sich schon schwache Licht verblasste noch mehr, denn hinter dem dichten Netz aus Pflanzen ging allmählich die Sonne unter. Ihrem ursprünglichen Plan zufolge müssten die Jugendlichen weitergehen, zumindest die ersten Stunden der Nacht, da imDschungel fast alle großen Tiere tagaktiv waren und die Nacht deshalb weniger Gefahren barg. Aber Rico zu tragen, hatte alle ermüdet. Als sie die erste Daïbanpflanze erreichten, von der Lara erzählt hatte, beschlossen sie, eine Pause einzulegen.
Sie pflückten einige der blaugrünen Blätter und aßen sie. Die Blätter enthielten ein wenig Flüssigkeit, aber nicht genug, um ihren Durst zu stillen. Den ganzen Tag waren sie am Fluss entlanggelaufen; das Geräusch des fließenden Wassers war eine Tortur gewesen, denn es hatte den Durst noch quälender gemacht. Aber sie wussten nur zu gut, dass sie die trübe Flüssigkeit, in der halb zersetzte, widerlich stinkende Pflanzen schwammen, nicht trinken durften. Abgesehen davon konnte man nie wissen, ob eine giftige Pflanze darunter war. Um ihren Durst zu stillen, hatten sie mühsam die Regentropfen eingesammelt, die unter den Blättern hingen, die an große Farnkrautgewächse erinnerten. Das Wasser hatte einen unangenehmen Beigeschmack nach Schimmel, aber es war wenigstens trinkbar.
Rico stellte fest, dass ihr Fuß nicht mehr schmerzte, aber immer noch gefühllos war.
»Ruht euch aus, ich bin nicht müde«, sagte sie. »Ich werde als Erste die Wache übernehmen.«
»Einverstanden. Weck Saïda in zwei Stunden.«
Sie traten ein kleines Stückchen Urwaldboden flach und töteten sämtliche Skorpione, die sich an ihren Stiefeln festgeklammert hatten. Dann legten sie sich hin, auch wenn sie überzeugt waren, nicht schlafen zu können. Doch die Müdigkeit war größer als die Angst, und alle fielen in einen unruhigen Schlaf.
Als Lara mitten in der Nacht erwachte, sah sie eine Silhouette, die sitzend am Stamm der Daïbanpflanze lehnte.
»Bin ich mit der Wache dran?«, fragte sie verschlafen.
»Noch nicht, schlaf weiter«, kam flüsternd die Antwort.
Beim ersten Licht des Sonnenaufgangs, das schwach durch das dichte Blattwerk drang, wurde sie von Rico geweckt. Die Nacht war ruhig gewesen, ohne dass es einen Alarm gegeben hatte. Nun aber erwachte der Wald. Aus dem Unterholz drangen ein Rascheln und ein beunruhigendes Surren.
»Hast du die ganze Nacht Wache gehalten?«, fragte Lara.
»Ja. So habe ich mich wenigstens ein bisschen nützlich machen können und bin nicht nur totes Gewicht, das man mitschleppen muss.«
»Wie weit sind wir gekommen?«
»Nicht weit genug.«
Als alle auf den Beinen waren, schauten sie sich Ricos Wunde an, die gar nicht gut aussah. Als Lara bemerkte, dass die anderen sie vertrauensvoll anblickten, versicherte sie trotz ihrer Bedenken, sie habe den Eindruck, dass sich alles zur Zufriedenheit entwickelte. In Wirklichkeit war sie ziemlich sicher, dass das Gift die Nervenbahnen in Ricos Fuß zerstört hatte und dass Rico ohne raschen Eingriff einer Jestak im Lebenshaus wohl nie wieder normal würde gehen können. Vielleicht würde sie sogar die Beweglichkeit ihrer Hüfte einbüßen, aber daran wollte Lara gar nicht erst denken.
»Hast du Schmerzen, Rico?«
»Ich fühle überhaupt nichts. Heißt das, es heilt? Kann ich bald wieder laufen?«
Es war nicht mehr nötig, das Bein ruhig zu halten, damit das Gift sich nicht so schnell verteilte; es hatte sein zerstörerisches Werk bereits vollbracht. Als Rico versuchte, ein paar Schritte zu gehen, fiel sie hin. Der Fuß war völlig taub, sodass sie nicht einmal merkte, wenn sie auftrat.
Zögernd blickten die Jugendlichen einander an. Rico im Stich zu lassen, würde bedeuten, sie aufzugeben. Aber den ganzen Weg bis zur Hochebene zu laufen und sie dabei zu tragen, barg das Risiko, dass sie alle ihr Leben verloren.
Saïda hackte einen Ast ab und riet Rico, es damit zu versuchen. Doch sie
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