Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
heiß war wie im Backofen auf dem Hof des Clan-Hauses, entdeckten sie ein großes Tier, das vor Durst verrückt geworden zu sein schien und sich unvorsichtig dem Fluss näherte. Es hatte kaum sein Maul ins Wasser getaucht, als der Fleischfresser aus der Lauerstellung hervorkam und sich auf das trinkende Tier stürzte. Es war ein massiges Monstrum, dessen Körper mit großen Schuppen bedeckt war. Sein riesiges Maul wäre groß genug gewesen, dass ein Asix stehend hineingepasst hätte. Es war gespickt mit scharfen, knöchernen Platten, so groß wie Sensenklingen. Die Bestie besaß sechs Pfoten mit langen, scharfen Krallen.
Ein Kampf fand gar nicht erst statt. Das Tier, das gerade seinen Durst löschte, war tot, bevor es überhaupt die Schnauze heben konnte. Einen Moment lang hörten die Gefährten nur das Geräusch seiner Knochen, die unter den Zähnen des Raubtiers knackten, und das abscheuliche Schmatzen, wenn es große Bissen hinunterschlang.
Als es mit dem Fressen fertig war, kehrte wieder Stille ein, aber diese Stille war immer noch zu bedrohlich, als dass die Gefährten sich aus ihren Deckungen erhoben hätten. Noch immer wagten sie es nicht, auch nur die kleinste Bewegung zu machen.
Es wurde Nacht. Dann ließen Geräusche in den Ästen und Zweigen erkennen, dass irgendein großes Tier sich von ihnen fort bewegte, ohne sich die Mühe zu machen, unerkannt zu bleiben.Der Gestank von fauligem Fleisch, der die Jugendlichen geplagt hatte, wurde schwächer und verschwand schließlich ganz. Sie ließen noch ein paar Minuten verstreichen; dann standen sie auf und setzten ihren Marsch fort. Auf Zehenspitzen schlichen sie an dem abgrundtiefen, dunklen Tunnel vorbei, der sich in den Dschungel erstreckte, ohne dass etwas passierte.
Nach ungefähr zehn Schritten murmelte Rin: »Wenn ich nicht schleunigst pinkeln kann, explodiere ich!«
Er blieb stehen, um gegen einen Baum zu urinieren.
Die anderen lachten nervös, bevor sie es genauso machten. Niemand kam auf die Idee, sich dabei von den anderen abzusondern, wie sie es anfangs getan hatten. Ein gewisses Schamgefühl war nicht mehr angebracht.
»Was war das eigentlich für ein Biest?«, fragte Lara. »Ich kann mich nicht erinnern, in einem Zoologie-Buch jemals etwas Derartiges gesehen zu haben.«
»Vielleicht ein ganz neues Tier?«
»Vielleicht haben die Entdecker, die diese Bestie als Erste zu Gesicht bekommen haben, dasselbe Ende gefunden wie das Tier am Fluss, und wurden in wenigen Minuten gefressen.«
»Aber warum hat es uns nicht gefressen?«
»Wenn du es wissen willst«, antwortete Mauro, der akademische Diskussionen überhaupt nicht mochte, »dann bleib und schlaf hier. Setz dich morgen früh ans Flussufer, und wenn dieses Ungeheuer kommt, kannst du ja einen höflichen Knicks machen und es fragen, ob es zum Start in den Tag nicht Lust auf ein kleines Shiro-Appetithäppchen hat. Mich interessiert jedenfalls nicht, weshalb das Biest mich verschont hat. Hauptsache, ich bin davongekommen. Und jetzt möchte ich nicht mehr darüber sprechen.«
Nachdem die Gefährten die undurchdringliche Wand des Dschungels, das brackige Flusswasser und alle anderen Gefahren hinter sich gelassen hatten, waren sie glücklich, auf eine Ansammlung von Schnecken zu stoßen, die – wie Lara garantierte – essbar waren. Trotz ihres unappetitlichen Aussehens und des schlammigen Geruchs, der von ihnen ausging, aßen sie die Schnecken roh.
Hätten sie nun den Weg über die Hügel genommen, hätten sie rund dreißig Kilometer zurücklegen müssen, meist bergauf und ständig ohne Deckung. Das hätte bedeutet, die gesamte Strecke in nur einer Nacht im Laufschritt zurücklegen zu müssen. Mit der verwundeten Rico war das völlig unmöglich. Deshalb mussten sie eine Marschroute wählen, die quer durchs Sumpfgebiet führte. Dieser Weg war viel länger und schwieriger, bot aber wenigstens hin und wieder die Möglichkeit, Schutz vor den heißen Sonnenstrahlen zu finden.
In der Abenddämmerung bahnten sie sich einen Weg in den Dschungel, bis sie zu zwei Farnkrautgewächsen kamen. Sie nahmen die gesamte Flüssigkeit zu sich und tranken selbst dann noch weiter, als ihr Durst längst gelöscht war. In Sovesta gab es kein Trinkwasser.
Als die beiden Monde am wolkenlosen Himmel standen, nahmen sie ihren Marsch wieder auf. Die Nacht im Freien war genauso hell wie die Tage im Dschungel. Die Tide war mittelhoch; mit ein bisschen Glück würde das Wasser nicht zu schnell steigen oder fallen, sodass die
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