Das Gesicht der Anderen
in einer Beinahekatastrophe endete. G. W. hat mir erzählt, dass das arme Mädchen beinahe vergewaltigt wurde.”
“Daddy!”
“Tessa, schimpf nicht mit ihm”, sagte Olivia. “Dein Vater war gestern Morgen so aufgewühlt, als ihr Leslie Anne nach Hause brachtet. Er musste mit jemandem sprechen. Und ich gehöre ja schließlich zur Familie.”
“Wo ist denn meine Lieblingsgroßnichte?”, fragte Sharon – ganz offensichtlich, um die drohende Szene zwischen Olivia und Tessa zu vermeiden.
“Die geht spazieren”, entgegnete Tessa. Dann sah sie ihren Vater an. “Sie war mit einem Freund, der heute Morgen vorbeikam, im Garten. Bevor er wieder ging, kam er eben zu mir und sagte, zwischen ihm und Leslie Anne hätte es ein kleines Missverständnis gegeben. Er wird an einem der nächsten Tage noch einmal vorbeischauen.”
“Oh, wie bezaubernd! Ein Streit unter Liebenden.” Olivia kuschelte sich wieder an G. W.
Diese Frau ist so idiotisch, dachte Tessa.
G. W. räusperte sich laut. “Sharon, warum gehst du nicht mit Olivia ins Haus, und ihr seht nach, wie weit das Mittagessen ist. Und sag Eustacia Bescheid, auch für dich zu decken.”
“Ich denke, damit sind wir entlassen”, sagte Sharon. “Komm, Olivia. Lassen wir Vater und Tochter allein, damit sie über uns sprechen können.”
Irritiert von Sharons Bemerkung tat Olivia, wie ihr geheißen. Sie küsste G. W. auf die Wange und ging mit Sharon hinüber zum Haus. Sobald die beiden außer Hörweite waren, wandte sich G. W. Tessa zu.
“Leslie Anne hat sich also geweigert, mit Arthur zusammenzuarbeiten?”, fragte er.
“Oh, das kann man so sagen. Sie hat ihm nicht nur gesagt, er solle sie in Ruhe lassen, sondern machte eine dumme Bemerkung in dem Stil, sie könnte ihn ja vielleicht umbringen.”
“Was?”
“Er hat das natürlich nicht ernst genommen. Vermutlich wollte sie ihn damit nur schockieren.”
“Irgendwie glaubt sie, sie trägt das Böse in sich”, sagte G. W. “Wir müssen ihr diese lächerliche Vorstellung ausreden und ihr zeigen, dass sie immer noch dasselbe wunderbare Kind ist, das sie immer war. Und dass sie …”
“Wenn ich nur denjenigen in die Finger kriegen würde, der ihr dieses Päckchen geschickt hat! Ich glaube, da könnte ich selbst zur Mörderin werden”, sagte Tessa zu ihrem Vater. “Diese Person hat meiner Tochter einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zugefügt. Sie wird von sich selbst nie mehr so denken wie vorher. Nie wieder.”
“Mr. Moran und die Detektei Dundee werden denjenigen schon ausfindig machen, und dann sorge ich schon dafür, dass er angemessen bestraft wird. Keiner macht G. W. Westbrook Schwierigkeiten, ohne dass er dafür einen hohen Preis bezahlt. Dante Moran ist zum Glück ein Mann, der weiß, was wann zu tun ist.”
“Ich sollte dir in diesem Zusammenhang vielleicht mitteilen, das Mr. Moran einen Kollegen zu uns schickt. Er wird selbst die Recherchearbeit übernehmen und kann deshalb nicht hier vor Ort sein.”
“Was ist passiert?” G. W. schnappte Tessa am Arm. “Warum schickt er jemand anders her? Leslie Anne mag Dante. Sie vertraut ihm.”
“Mr. Moran wird seine Gründe haben. Immerhin ist er ein Profi, nicht wahr? Er wird schon wissen, was er tut.”
G. W. nickte. “Vermutlich hast du recht. Aber trotzdem …”
Tessa konnte ihrem Vater wohl schlecht sagen, was der wahre Grund für Dantes Rückzug war. G. W. mochte Dantes Arbeit schätzen. Aber er schätzte ihn sicher nicht als den Liebhaber seiner Tochter.
Dante entdeckte Leslie Anne, als er gerade zu dem Mietwagen ging, den Lucie und Dom für ihn hatten stehen lassen. Leslie Anne schien auf dem Weg zum Haupttor zu sein. Wo will sie denn hin? fragte sich Dante. Vielleicht sollte er sich wenigstens noch von ihr verabschieden. Sie würden sich sicher nicht so bald wiedersehen.
Wahrscheinlich erst, wenn sie herausgefunden hatten, wer ihr das berüchtigte Päckchen geschickt hatte.
“Hey”, rief er ihr zu und winkte. “Leslie Anne!”
Sie blieb stehen und drehte sich um. Als sie ihn sah, winkte sie zurück. “Wo fahren Sie hin?”, rief sie.
Er rannte los und war kurz darauf neben ihr. Als er sie ansah, fühlte er sich sofort wieder an Amy erinnert. “Ich muss in die Stadt, mich mit meinen Kollegen besprechen”, erklärte er. “Wir wollen uns eine Strategie überlegen, mit der wir so schnell wie möglich die Person finden, die dir die Zeitungsausschnitte geschickt hat.”
“Wen interessiert das schon?” Leslie Anne
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