Das Gesicht der Anderen
unerhörten Lügen verbreitete, hart ins Gericht gehen würde, war ihm klar geworden, dass diese Person darauf aus war, aller Welt die wahren Hintergründe über Leslie Annes Vater mitzuteilen.
Und als G. W. sich gerade anschickte, das Büro zu verlassen, um nach Hause zu fahren, rief Sharon bei ihm an. Noch bevor sie ein Wort sagte, wusste er, was kommen würde.
“Ich bin gerade auf dem Sprung”, hatte G. W. zu seiner Schwester gesagt. “Egal, was passiert: Leslie Anne darf mit niemandem reden. Und erzähl dieser Lucie von Dundee, was passiert ist. Ich möchte auf keinen Fall, dass Leslie Anne davon erfährt, bevor ich selbst mit ihr geredet habe.”
Als er seinen Mercedes vor dem Haus parkte, statt in die Garage zu fahren, hatte G. W. bereits einen Schlachtplan entworfen – samt diverser Lösungsmöglichkeiten. Oberste Priorität war es, Tessa und Leslie Anne zu schützen. Doch es würde wohl ein Wunder brauchen, um das nun drohende Unheil abzuwenden. Irgendwo da draußen war jemand, der von Tessas Vergewaltigung und Leslie Annes leiblichem Vater wusste. Und dieser Jemand wollte offensichtlich dafür sorgen, dass alle Welt erfuhr, dass die Familie Westbrook seit über siebzehn Jahren eine große Lüge lebte.
Noch bevor er aussteigen konnte, riss Sharon die Haustür auf und rannte über die Veranda zu ihm herüber. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben. Seine Schwester neigte zwar im Allgemeinen dazu überzureagieren, aber in diesem Fall nahm er ihr ihre Panik ab.
“Du liebe Güte, G. W.! Was sollen wir jetzt machen?”
Er ließ seine Aktentasche auf dem Vordersitz liegen, stieg aus und sagte zu seiner Schwester: “Hast du die Stimme der Person erkannt? War es ein Mann oder eine Frau?”
“Die Stimme war verstellt. Hatte ich dir das nicht gesagt?”, Sharon hakte sich bei G. W. unter, und sie gingen gemeinsam zum Haus. “Ich habe die Stimme nicht erkannt. Ich bin so aufgeregt, dass ich schon nicht mehr klar denken kann!”
Er spürte ihr Zittern und fragte sich, ob sie spürte, dass er ebenfalls nervös war.
“Wo ist Leslie Anne?”, fragte er. “Weiß sie …”
“Nein. Sie hat keine Ahnung, dass jemand überall herumerzählt, das Eddie Jay Nealy ihr biologischer Vater ist. Ich habe Ms. Evans informiert, und daraufhin hat sie Leslie Anne vorgeschlagen, gemeinsam auszureiten.”
“Sie sind also Reiten gegangen?”
“Ja.” Sharon zögerte, dann umarmte sie G. W. “Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Dieser Stress ist nicht gut für dich. Sollen wir vielleicht Dr. Lester anrufen?”
“Ich brauche keinen verdammten Arzt, ich brauche die Detektei Dundee! Sie müssen herauskriegen, wer vorhat, meine Familie zu zerstören. Was hat Ms. Evans zu der Angelegenheit gesagt? Hat sie schon etwas von Mr. Moran oder von Tessa gehört?” Es hatte ihn sehr verärgert, dass Tessa sich mit diesem Moran aus dem Staub gemacht hatte und in Rayville nach irgendwelchen Gespenstern suchte. Was würden sie da schon finden? Er hatte ein Vermögen bezahlt, um sämtliche Spuren verschwinden zu lassen. Keiner würde sich trauen, auch nur irgendetwas zuzugeben. Schließlich waren ja alle Betroffenen selbst in die Sache verwickelt.
“Ms. Evans hat die beiden anderen Agenten alarmiert. Sie werden Mr. Moran verständigen”, sagte Sharon und entließ G. W. aus ihrem Klammergriff. “Ich habe schon versucht, Tessa zu erreichen, aber es geht immer nur die Mailbox dran. Entweder hat sie keinen Empfang, oder ihr Handy ist ausgeschaltet.”
“Was muss sie auch gerade jetzt weg sein!” G. W. legte den Arm um seine Schwester und ging mit ihr gemeinsam die Stufen zur Veranda hoch. “Sie hatte keinerlei Veranlassung, mit Moran wegzufahren. Ich verstehe das nicht.”
“Ihr Leben bricht auseinander, G. W. Findest du nicht, sie hat ein Recht darauf …”
“Ich habe ihr dieses Leben ermöglicht, und ich werde nicht zulassen, dass es auseinanderbricht. Das sollte sie eigentlich wissen!” G. W. öffnete die Haustür und hielt sie für Sharon auf. “Ich werde Tessa und Leslie Anne beschützen. Koste es, was es wolle!”
Sharon betrat die Eingangshalle, G. W. folgte ihr. “Ich glaube, kein Geld der Welt wird verhindern können, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Wer auch immer diese Anrufe gemacht hat – er oder sie wird nicht eher ruhen, bis es alle wissen. Das Ganze hat sich zu einer Lawine entwickelt, die immer größer und immer schneller wird. Und in der Schusslinie steht unsere Familie. Sie wird uns
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