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Das Gesicht der Anderen

Das Gesicht der Anderen

Titel: Das Gesicht der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverly Barton
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er eine Tochter hatte? Ihre Mutter und ihr Großvater waren standhaft bei der Geschichte von John Allen geblieben, aber Leslie Anne wusste, dass das gelogen war. Doch erst seit sie vor zwei Tagen dieses teuflische Päckchen erhalten hatte, verstand sie, warum man sie all die Jahre belogen hatte.
    Wenn die Wahrheit so schrecklich ist, zu schmerzlich, dann kann nur eine Lüge einen selbst und die, die man liebt, vor der grausamen Realität beschützen.

2. KAPITEL
    D as Anwesen der Familie Westbrook bestand aus einem Grundstück von zweihundert Hektar und einem Herrenhaus aus der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg, das seit fünf Generationen im Besitz der Familie von G. W.s Frau war. Ihr Vorfahre John Leslie hatte sich am Mississippi niedergelassen, noch bevor das Land in Bundesstaaten aufgeteilt war. Sein Sohn hatte das Haus vor dem Bürgerkrieg erbaut, und seitdem lebte die Familie kontinuierlich hier, etwa zehn Kilometer entfernt von der am Mississippi gelegenen Stadt Fairport. Um Leslie Plantation, wie das Anwesen auch genannt wurde, rankten sich viele Legenden und Geschichten, die zum Teil bis in die Zeit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts zurückreichten. Die Stadt Fairport war nicht so bekannt wie die Nachbarstadt Natchez, blickte jedoch auf eine ebenso traditionsreiche Geschichte zurück. Heute gründete sich die wirtschaftliche Entwicklung von Fairport auf zwei Faktoren – den Tourismus und das erst zehn Jahre alte Industriegebiet, das überwiegend aus kleinen und mittelständischen Betrieben bestand, die sich fast ausnahmslos im Besitz von G. W. Westbrook befanden.
    Als Dante den Mietwagen aus der schläfrigen Kleinstadt, die sich seit den Sechzigerjahren nicht großartig verändert hatte, herauslenkte, summte Lucie Evans den peppigen Rhythmus eines Songs mit, der gerade im Radio lief. Sie schien dabei völlig in die Akte vertieft zu sein, in der die Informationen über die Westbrooks zusammengefasst waren. Normalerweise war Lucie lebhaft und gesprächig, aber heute war sie erstaunlich ruhig, schon seit der Dundee-Privatjet auf dem kleinen Natchez-Adams-County-Flughafen gelandet war. Es war kein kommerzieller Flughafen, aber die Landebahn war immerhin lang genug, dass hier auch Boeings vom Typ 737 landen konnten.
    Sie hatten gerade schon Dom Shea und Vic Noble im Büro des Sheriffs von Fairport abgesetzt, die sich dort über die neueste Entwicklung im Fall Leslie Anne Westbrook informieren und ihre Arbeit mit den zuständigen lokalen Behörden abstimmen wollten. Dante hatte vor, zu ihnen zu stoßen, sobald er G. W. kennengelernt und Lucie im Haus der Familie abgesetzt hatte. Aus den von Daisy Holbrook aktualisierten Informationen, die die Sekretärin den Agenten noch kurz vor dem Abflug in Atlanta in die Hand gedrückt hatte, vermutete Dante, Lucie würde es mit G. W. nicht leicht haben. Eigensinnig, stur und gewohnt, mit seinem Geld und seinem Einfluss immer alles zu erreichen, was er wollte, hörte G. W. sicher nicht gern Ratschläge von anderen. Lucie würde alle Hände voll zu tun haben, damit er ihnen nicht dazwischenfunkte. Wahrscheinlich würde Lucie gemeinsam mit Tessa Westbrook versuchen, den Patriarchen unter Kontrolle zu halten. Ms. Westbrook, die im Gegensatz zu ihrem Vater als besonnen galt, hatte sicher genügend Einfluss auf den Alten, um ihn im Zaum zu halten.
    “Was steht denn so Interessantes in der Akte?”, wollte Dante wissen und fragte sich, ob er vielleicht etwas Wichtiges übersehen hatte, als er die Akte während des Fluges studiert hatte. Zugegebenermaßen hing sein Interesse an dem Fall mehr mit der Ähnlichkeit des verschwundenen Mädchens mit Amy zusammen als mit irgendetwas anderem.
    “Ich weiß nicht”, erwiderte Lucie. “Wenn man das so liest”, sie wedelte mit der Akte, “hat man das Gefühl, man hätte das Drehbuch für eine Daily Soap in der Hand. Irgendwie scheint es im Leben der Superreichen immer eine Tendenz zur Melodramatik zu geben.”
    “Was ist das Melodramatische bei den Westbrooks?”
    “Machst du Witze? G. W. stammt aus bescheidenen Verhältnissen und heiratet in eine reiche Familie ein. Es gelingt ihm, das Familienvermögen mehr als zu verdreifachen. Seine geliebte Tochter Tessa, Einzelkind, hat mit achtzehn einen schrecklichen Autounfall, den sie nur um Haaresbreite überlebt. Ihr damaliger Freund, vermutlich der Vater ihrer Tochter Leslie Anne, stirbt bei dem Unfall. Vier Jahre später stirbt G. W.s Ehefrau an einem langjährigen Krebsleiden.

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