Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
höchsten Wellen reichte.
    Der Geist wurde von der Treppe aufs Hauptdeck geschleudert. Benommen blieb er auf der Seite liegen.
    Zu viel!, wurde ihm klar. Die Ladung war nicht richtig bemessen gewesen. Schon jetzt führte das eindringende Meerwasser dazu, dass die Dragon Schlagseite bekam. Ursprünglich hatte der Geist mit einer halben Stunde bis zum Untergang gerechnet, aber stattdessen würde es nur wenige Minuten dauern. Er sah zum Brückendeck, wo in der kleinen Kabine sein Geld und seine Waffen lagen. Dann suchte sein Blick ein letztes Mal die anderen Decks nach dem bangshou ab, aber der Kerl war nirgendwo zu entdecken. Es blieb keine Zeit mehr. Der Geist stand auf, arbeitete sich über das Containerdeck bis zum nächsten Schlauchboot vor und löste die Haltetaue.
    Schlingernd legte die Dragon sich ein weiteres Stück auf die Seite.
     
    ...Vier
    Der Knall war ohrenbetäubend gewesen - als würden hundert Schmiedehämmer gleichzeitig auf ein Eisen treffen.
    So gut wie alle Leute im Laderaum waren auf den kalten, nassen Boden gestürzt. Sam Chang rappelte sich auf und zog seinen jüngsten Sohn aus der öligen Pfütze, in der dieser gelandet war. Dann half er seiner Frau und seinem alten Vater auf die Beine.
    »Was ist passiert?«, rief er Kapitän Sen zu, der sich quer durch die panische Menge in Richtung der Tür drängte, die aufs Oberdeck führte. »Sind wir auf einen Felsen aufgelaufen?«
    »Nein, das war kein Felsen«, rief der Kapitän zurück. »Das Wasser ist hier dreißig Meter tief. Entweder hat der Geist das Schiff gesprengt oder die Küstenwache feuert auf uns. Ich weiß es nicht.«
    »Was ist los?«, fragte ein entsetzter Mann, der in der Nähe von Chang saß. Er hieß Wu Qichen und war der Vater der Familie, die im Frachtraum unmittelbar neben den Changs Quartier bezogen hatte. Seine Frau lag teilnahmslos auf der nächsten Pritsche. Sie hatte Fieber bekommen und während der ganzen Reise apathisch ausgeharrt. Sogar jetzt schien sie die Explosion und das folgende Chaos kaum registriert zu haben. »Was ist denn bloß los?«, wiederholte Wu mit schriller Stimme.
    »Wir sinken!«, rief der Kapitän, packte die Riegel der Tür und versuchte vergeblich, die Luke zu öffnen. »Er hat uns eingesperrt!«
    Einige Flüchtlinge, Männer wie Frauen, fingen lauthals an zu jammern und wiegten sich vor und zurück; Kinder standen starr vor Angst, während Tränen über ihre schmutzigen Wangen liefen. Sam Chang und einige der Matrosen gesellten sich zu Sen und zerrten mit vereinten Kräften an den Riegeln, aber die dicken Metallstangen gaben keinen Millimeter nach.
    Chang bemerkte, dass ein Koffer, der auf dem Boden des Laderaums stand, wie in Zeitlupe umkippte und das Wasser aufspritzen ließ; die Dragon bekam schwere Schlagseite. Zwischen den Fugen der Stahlplatten drang kaltes Wasser ein. Die Lache, aus der er seinen Sohn gezogen hatte, war mittlerweile einen halben Meter tief. Mehrere Leute rutschten schreiend aus und landeten mit rudernden Armen zwischen Abfall, Gepäckstücken, Nahrungsmitteln, Pappbechern und Papierfetzen.
    Verzweifelte Männer, Frauen und Kinder fielen sich um den Hals, schluchzten, schrien um Hilfe, beteten oder unternahmen den aussichtslosen Versuch, mit ihren Koffern Löcher in das Metall der Wände zu rammen. Die Frau mit dem vernarbten Gesicht umklammerte ihre kleine Tochter auf genau die gleiche Weise wie das Mädchen ein fleckiges, gelbes Pokemon-Stofftier an sich drückte. Beide weinten.
    Ein lautes Ächzen des sterbenden Schiffs hallte durch die verbrauchte Luft, und das schmutzig braune Wasser stieg unablässig.
    Die Männer an der Luke erzielten keinerlei Fortschritte. Chang strich sich das Haar aus der Stirn. »Das funktioniert nicht«, sagte er zu Sen. »Wir brauchen einen anderen Weg nach draußen.«
    »Im hinteren Teil des Frachtraums befindet sich ein verschraubter Zugang zum Maschinenraum«, entgegnete der Kapitän. »Genau dort wurde allerdings der Rumpf beschädigt, also werden wir den Deckel vermutlich nicht aufbekommen, weil auf der anderen Seite der Druck zu hoch ist.«
    »Wo genau?«, fragte Chang.
    Der Kapitän zeigte auf die Stelle, eine kleine Öffnung, versperrt durch eine Platte mit vier Schrauben. Sie war gerade groß genug, dass eine Person hindurchsteigen konnte. Er und Chang hielten darauf zu und hatten Mühe, auf dem schrägen Boden nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der schmächtige Wu Qichen half seiner kranken Frau auf die Beine, die einen Anfall von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher