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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Schüttelfrost erlitt. Chang beugte sich kurz zu seiner eigenen Frau hinunter. »Hör gut zu«, sagte er. »Du musst dafür sorgen, dass unsere Familie dicht beieinander bleibt. Halt dich an diesem Durchgang immer in meiner Nähe.«
    »Jawohl.«
    Dann schloss Chang zu dem Kapitän auf, und mit Hilfe von Sens Taschenmesser schafften sie es, die Schrauben zu lösen. Chang versetzte dem Deckel einen festen Stoß, woraufhin dieser ohne Widerstand in den Maschinenraum fiel. Auch dort war Wasser eingedrungen, aber es stand niedriger als im Laderaum. Chang konnte die steile Treppe zum Oberdeck erkennen.
    Sobald die anderen den offenen Durchgang bemerkten, drängten sie unter lautem Geschrei panisch vorwärts, sodass einige an die Stahlwand gepresst wurden. Chang schlug zwei der Männer mit der Faust nieder. »Nein!«, brüllte er. »Einer nach dem anderen, sonst werden wir alle sterben.«
    Ein paar Flüchtlinge wollten sich mit verzweifeltem Blick auf ihn stürzen, aber der Kapitän stellte sich ihnen in den Weg und schwang drohend das Messer. Sie wichen zurück. Nebeneinander standen Sen und Chang der gesamten Schar gegenüber. »Einer nach dem anderen«, wiederholte der Kapitän. »Durch den Maschinenraum und die Stufen hinauf. An Deck befinden sich Rettungsboote.« Er nickte den Leuten zu, die direkt vor der Öffnung standen, und sie krabbelten hindurch. Der Erste war John Sung, ein Arzt und Dissident, mit dem Chang sich während der Reise des Öfteren unterhalten hatte. Er kniete sich auf die andere Seite des Durchgangs und half den Nachfolgenden. Ein junges Ehepaar stieg hindurch und lief zur Treppe.
    Der Kapitän sah Chang an und nickte. »Gehen Sie!«
    Chang gab zunächst seinem Vater Chang Jiechi einen Wink, und der alte Mann kroch nach nebenan. John Sung nahm seinen Arm und stützte ihn. Dann folgten Changs Söhne: der halbwüchsige William und der achtjährige Ronald; danach seine Frau. Chang ging als Letzter und bedeutete seiner Familie, über die Stufen nach oben zu klettern. Er blieb zurück, um Sung zu helfen.
    Familie Wu kam als Nächste: Qichen, seine kranke Frau, die Tochter und der kleine Sohn.
    Chang streckte die Hand aus, um den nächsten Flüchtling in Empfang zu nehmen, aber zwei der Matrosen drängten sich vor. Kapitän Sen wollte sie zurückhalten. »Noch habe ich hier das Kommando«, schimpfte er. »Die Dragon ist mein Schiff. Zuerst die Passagiere.«
    »Passagiere? Du Idiot, das ist doch höchstens Ungeziefer!«, schrie einer der Männer, schubste die narbengesichtige Mutter und ihre kleine Tochter beiseite und stieg durch die Öffnung. Der andere folgte ihm auf dem Fuß, stieß Sung zu Boden und rannte zur Treppe. Chang half dem Doktor auf die Beine. »Es ist nichts passiert«, rief dieser, schloss die Hand um den Talisman, der um seinen Hals hing, und murmelte ein kurzes Gebet. Chang hörte den Namen von Chenwu, dem Gott des Nordhimmels und Beschützer vor Verbrechern.
    Die Dragon erbebte spürbar und legte sich noch ein wenig schneller auf die Seite. In den Laderaum drang immer mehr Wasser ein, was an der Öffnung zu einem starken Durchzug entweichender Luft führte, der mit herzzerreißendem Stöhnen einherging, vermischt mit einem gurgelnden Geräusch. Sie sinkt, dachte Chang. Höchstens noch ein paar Minuten. Hinter sich hörte er etwas zischen und prasseln. Er hob den Kopf und sah, dass Wasser über die Stufen strömte und sich auf die riesigen, öligen Motoren ergoss. Eine der Maschinen stellte den Betrieb ein, und das Licht ging aus. Dann verstummte auch das zweite Aggregat.
    John Sung verlor den Halt und rutschte quer über den Boden gegen die Wand. »Fliehen Sie!«, rief Chang ihm zu. »Wir können hier nichts mehr tun.«
    Der Doktor nickte, taumelte zur Treppe und kletterte hinaus. Chang hingegen wandte sich wieder dem Durchgang zu, um vielleicht doch noch ein oder zwei Leben zu retten. Der Anblick ließ ihn schaudern: Aus der Öffnung schoss Wasser, und aus dem Wasser reckten sich ihm verzweifelt vier Arme entgegen, die hektisch nach Hilfe tasteten. Chang packte die Hand eines der Männer, aber der Flüchtling war so zwischen den anderen eingeklemmt, dass er ihn nicht loszureißen vermochte. Die Hand erzitterte einmal, und dann erschlaffte ihr Griff. In der sprudelnden Flut, die blubbernd in den Maschinenraum drang, konnte Chang einmal kurz Sens Gesicht erkennen. Er wollte ihm nach draußen helfen, aber der Kapitän verschwand wieder in der Schwärze des Laderaums. Wenige Sekunden

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