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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Angst, aber außerhalb seiner gewohnten Umgebung stellte der Mann sich manchmal ziemlich unbeholfen an. Wahrscheinlich war er ins Wasser gefallen und ertrunken, weil er seine schwere Pistole samt Munition nicht wegwerfen wollte. Na gut, der Geist hatte noch mehr zu erledigen. Er richtete den Bug des Boots auf die Stelle aus, an der er vor kurzem die Ferkel gesehen hatte, und gab kräftig Gas.
    Es war ihm keine Zeit geblieben, sich nach einer Rettungsweste umzusehen.
    Es war ihm für überhaupt nichts mehr Zeit geblieben.
    Unmittelbar nachdem die Explosion den rostigen Rumpf der Dragon erschüttert und Sonny Li bäuchlings zu Boden geschleudert hatte, neigte das Schiff sich zur Seite. Wasser strömte über das Deck, zog ihn gnadenlos mit sich, und plötzlich fand er sich neben dem Schiff wieder, ganz allein mitten im Meer, hilflos den riesigen Wogen ausgeliefert.
    Bei den zehn beschissenen Richtern der Hölle, schoss es ihm wütend auf Englisch durch den Kopf.
    Das Wasser war kalt, wuchtig, atemberaubend salzig. Die Wellen drehten ihn auf den Rücken, hoben ihn empor und tauchten ihn unter. Li strampelte zur Oberfläche und hielt nach dem Geist Ausschau, aber durch den Schleier aus Regen und Gischt sah er so gut wie gar nichts. Er schluckte einen Mund voll von dem abscheulichen Wasser und musste hustend nach Luft schnappen. Da er für gewöhnlich drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte und literweise Tsingtao-Bier und maotai trank, war er bald erschöpft, und die selten strapazierten Muskeln seiner Beine verkrampften sich schmerzhaft.
    Widerstrebend griff er zum Gürtel und zog seine automatische Pistole. Kaum hatte er losgelassen, versank die Waffe auch schon in der Tiefe. Dann entledigte er sich der drei gefüllten Magazine, die in seiner Gesäßtasche steckten. Dadurch schwamm es sich ein wenig leichter, aber es war noch nicht genug. Er brauchte eine Rettungsweste, irgendetwas, das von selbst an der Oberfläche trieb und ihm die Last abnehmen würde, sich aus eigener Kraft über Wasser zu halten.
    Auf einmal glaubte er, einen Außenbordmotor zu hören, und sah sich hektisch nach allen Richtungen um. In dreißig Metern Entfernung fuhr ein orangefarbenes Schlauchboot vorbei. Sonny hob den Arm, aber da erwischte ihn beim Einatmen eine Welle im Gesicht, und seine Lunge füllte sich mit stechendem Wasser.
    Brennender Schmerz durchzuckte seine Brust.
    Luft... ich brauche Luft.
    Die nächste Woge traf ihn. Er sank unter die Oberfläche und konnte dem mächtigen Sog der grauen Fluten nichts mehr entgegensetzen. Seine Hände fielen ihm auf. Wieso bewegten sie sich nicht?
    Strample, rudere! Lass dich nicht vom Meer verschlucken!
    Ein letztes Mal kämpfte er sich nach oben.
    Lass dich.
    Er schluckte noch mehr Wasser.
    Lass dich nicht.
    Ihm wurde schwarz vor Augen.
    Bei den zehn Richtern der Hölle.
    Tja, dachte Sonny Li, anscheinend würde er ihnen nun gegenübertreten.
     
    ...Fünf
    Sie lagen zu seinen Füßen in der kalten Brühe auf dem Boden des Schlauchboots, ein Dutzend Menschen, gefangen zwischen den Bergen aus Wasser unter ihnen und dem peitschenden Regen, der von oben über sie hereinbrach. Verbissen klammerten sie sich an das Seil, das rund um den orangefarbenen Gummiwulst verlief.
    Sam Chang, der unfreiwillige Kapitän des zerbrechlichen Gefährts, ließ den Blick über seine Passagiere schweifen. Die beiden Familien seine eigene und die der Wus - kauerten sich im hinteren Teil und der Mitte des Boots zusammen. Vorn befanden sich Dr. John Sung und die beiden anderen, die dem Frachtraum entflohen waren und deren Nachnamen Chang nicht kannte: Chaohua und Rose, seine Frau.
    Eine Welle schlug über ihren Köpfen zusammen und durchnässte die gepeinigten Insassen ein weiteres Mal. Changs Frau, Mei-Mei, zog ihren Pullover aus und wickelte ihn um die kleine Tochter der narbengesichtigen Frau. Das Mädchen hieß Po-Yee, erinnerte Chang sich jäh, was übersetzt »Geliebtes Kind« bedeutete; die Kleine hatte eigentlich der Glücksbringer ihrer Überfahrt sein sollen.
    »Los!«, brüllte Wu. »Fahren Sie ans Ufer.«
    »Erst müssen wir noch nach den anderen suchen.«
    »Er schießt auf uns!«
    Chang sah sich auf dem aufgewühlten Meer um, konnte den Geist aber nirgendwo entdecken. »Wir fahren gleich, doch wenn außer uns noch andere entkommen konnten, müssen wir sie retten. Haltet die Augen auf!«
    Der siebzehnjährige William zog sich mühsam auf die Knie und spähte durch die prickelnde Gischt. Wus halbwüchsige
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