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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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kann nicht gehen, ich kann keine Beweisstücke in die Hand nehmen. Was, zum Teufel, hat sich für mich verbessert?«
    »Vielleicht arbeitet Ihr Gehirn jetzt besser. Vielleicht haben Sie einen stärkeren Willen. Ihr jizhong, Ihr Konzentrationsvermögen ist eventuell gewachsen.«
    »Tut mir Leid, Sonny, das kaufe ich Ihnen nicht ab.«
    Aber er wusste bereits aus eigener Erfahrung, dass Sonny Li nicht lockerließ, sobald er erst mal einen Standpunkt bezogen hatte. »Lassen Sie es mich Ihnen erklären, Loaban. Erinnern Sie sich noch an John Sung? An den steinernen Affenkönig, den er als Glücksbringer trägt?«
    »Ja.«
    »Sie sind so ein Affe.«
    »Ich bin was?«
    »Sie sind wie dieser Affe, will ich sagen. Der Affe konnte Wunder bewirken und zaubern; er war gerissen und zäh, aber auch aufbrausend. Genau wie Sie. Dann hat er sich gegen die Natur gestellt - er wollte die Götter betrügen, um ewig zu leben. Also stahl er die Pfirsiche der Unsterblichkeit und ließ Namen aus dem Verzeichnis der Lebenden und der Toten tilgen. Daraufhin bekam er Schwierigkeiten. Er verbrannte sich die Finger, bezog Prügel und wurde unter einem Berg begraben. Am Ende gab der Affe seinen Wunsch nach dem ewigen Leben auf, fand ein paar Freunde und zog mit ihnen auf eine Pilgerreise in das heilige Land im Westen. Er war glücklich. In Harmonie.«
    »Ich will wieder laufen können«, flüsterte Rhyme unnachgiebig und fragte sich, wieso er diesem seltsamen kleinen Mann eigentlich sein Seelenleben offenbarte. »Das ist nicht zu viel verlangt.«
    »Vielleicht doch«, widersprach Li. »Hören Sie, Loaban, sehen Sie mich an. Ich könnte mir wünschen, groß zu sein und wie Chow Yun-Fat auszusehen, damit alle Mädchen hinter mir her sind. Ich könnte mir wünschen, eine große Kommune zu leiten und Hunderte von Produktivitätsorden verliehen zu bekommen, um von jedermann respektiert zu werden. Ich könnte mir wünschen, als Banker in Hongkong zu leben. Aber das wäre gegen meine Natur. Mir ist bestimmt, ein verflucht guter Cop zu sein. Vielleicht werden Sie wieder laufen können, aber dafür etwas anderes verlieren - etwas viel Wichtigeres. Warum trinken Sie übrigens diesen Mist?« Er nickte mit Blick auf den Scotch.
    »Das ist mein Lieblings baijiu.«
    »Ja? Was kostet der?«
    »Ungefähr siebzig Dollar die Flasche.«
    Li verzog das Gesicht. Trotzdem trank er schon wieder aus und schenkte sich nach. »Hören Sie, Loaban, kennen Sie das Tao?«
    »Ich? Diesen New-Age-Schwachsinn? Da reden Sie mit dem Falschen.«
    »Okay, ich will Ihnen mal was sagen. In China haben wir zwei große Philosophen. Konfuzius und Laotse. Konfuzius glaubt, ein jeder sollte möglichst seinen Vorgesetzten gehorchen, Befehle befolgen, vor Höhergestellten einen Kotau machen und ansonsten den Mund halten. Laotse behauptet im Taoteking genau das Gegenteil. Für jeden Menschen ist es am besten, dem eigenen Lebensweg zu folgen. Der Natur zu gehorchen und Harmonie zu finden. Tao bedeutet übersetzt Weg des Lebens. Darin steht etwas geschrieben, das ich auszudrücken versuche. Es geht dabei um Sie, Loaban.«
    »Um mich?«, fragte Rhyme und rief sich ins Gedächtnis, dass sein Interesse an den Worten des Mannes nur auf dem reichlich genossenen Alkohol beruhen konnte.
    Li kniff die Augen zusammen und bemühte sich um eine möglichst akkurate Übersetzung. »Im Tao sagt Laotse: >Man muss nicht das Haus verlassen, um besser sehen zu können. Man braucht auch nicht aus dem Fenster zu schauen. Stattdessen sollte man im Zentrum der eigenen Existenz leben. Zu tun heißt zu seine.«
    »Hat denn jeder in China für alles gleich ein gottverdammtes Sprichwort parat?«, schimpfte Rhyme.
    »Stimmt, es gibt bei uns viele Sprichwörter. Sie sollten Thom das aufschreiben und an die Wand hängen lassen, neben dem Altar für Guan Di.«
    Die Männer schwiegen eine Weile. Man muss nicht das Haus verlassen, um besser sehen zu können. Man braucht auch nicht aus dem Fenster zu schauen ...
    Schließlich unterhielten sie sich weiter, und Li erzählte ausführlich vom Leben in China.
    »Wie sieht denn Ihr Haus aus?«, fragte Rhyme.
    »Es ist nur eine Wohnung. Ziemlich klein, so groß wie dieses Zimmer.«
    »Und wo?«
    »In meiner Heimatstadt, Liu Guoyuan. Das heißt >sechs Obstgärten<, aber davon ist keiner mehr übrig, die wurden alle abgeholzt. Ungefähr fünfzigtausend Einwohner. Ein Stück weg von Fuzhou. Dort leben viele Leute. Mehr als eine Million, würde ich sagen.«
    »Ich weiß gar nicht, wo das

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