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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ist.«
    »In der Provinz Fujian, im Südosten Chinas. Taiwan liegt direkt vor der Küste. Viele Berge. Der Fluss Min verläuft mitten hindurch. Er ist sehr groß. Die Leute bei uns sind selbstbewusst und haben Peking schon viel Kopfzerbrechen bereitet. Fujian war die Heimat der ersten Triade - so heißen bei uns die organisierten Verbrecherbanden. Die San Lian Hui. Sehr mächtig. Viel Schmuggel: Salz, Opium, Seide. Außerdem gibt es in Fujian viele Seeleute. Auch Händler und Importeure. Landwirte sind eher selten. In meiner Stadt ist die Kommunistische Partei relativ einflussreich, aber nur weil der Parteisekretär ein Privatkapitalist ist. Er besitzt eine Internetfirma wie AOL. Wirklich erfolgreich. Ha, ein dreckiger kleiner Kapitalist! Sein Kollektiv hat viel gutes Geld verdient. Seine Aktien sind nicht so eingebrochen wie an der NASDAQ.«
    »Welche Art von Kriminalität gibt es in Liu Guoyuan?«, fragte Rhyme.
    Li nickte. »Viel Bestechung und Schutzgelderpressung. In China ist es okay, andere Firmen oder Mitmenschen zu betrügen, aber wenn du die Partei oder die Regierung hintergehst, bist du tot. Sie verurteilen dich und schießen dir eine Kugel in den Kopf. Aber es gibt auch noch jede Menge andere Verbrechen. Das Gleiche wie hier. Mord, Raub, Vergewaltigung.« Er trank einen Schluck. »Einmal habe ich einen Frauenmörder überführt. Er hatte schon vier Tote auf seinem Konto und hätte weitergemacht, aber ich habe ihn erwischt.« Er lachte. »Ein Tropfen Blut. Ich habe einen einzigen Tropfen am Reifen seines Fahrrads gefunden, klein wie ein Sandkorn. Dadurch konnte man ihn mit dem Tatort in Verbindung bringen. Er hat gestanden. Sehen Sie, Loaban, es ist nicht nur alles woowoo.«
    »Bestimmt nicht, Sonny.«
    »In China werden häufig Frauen verschleppt, weil es zu wenige gibt. Auf hundert Frauen kommen bei uns hundertzwanzig Männer. Die Leute wollen nämlich keine Töchter, sondern nur Söhne. Aber wo sollen dann die Bräute herkommen? Also haben viele Verbrecher sich darauf spezialisiert, Mädchen und Frauen zu kidnappen und zu verkaufen. Es ist wirklich traurig. Oft steht irgendeine Familie vor unserer Tür und bittet uns, nach der entführten Ehefrau oder Tochter zu suchen. Viele Sicherheitsbeamten kümmern sich nicht darum, denn die Fälle sind schwer zu knacken. Manchmal werden die Frauen Tausende von Kilometern verschleppt. Ich habe letztes Jahr sechs wiedergefunden. Das war ein neuer Rekord für unsere Dienststelle. Es ist ein gutes Gefühl, einen Kidnapper aufzuspüren und zu verhaften.«
    »Nur darauf kommt es an«, sagte Rhyme.
    Li prostete ihm zu, und sie tranken schweigend. Rhyme bemerkte auf einmal, wie zufrieden er sich fühlte. Die meisten neuen Besucher behandelten ihn wie eine Monstrosität. Oh, sie wollten nicht unhöflich sein. Aber entweder bemühten sie sich krampfhaft darum, seine »Verfassung«, wie sie es häufig nannten, zu ignorieren, oder sie zelebrierten seine Behinderung geradezu, machten Witze darüber oder gaben Kommentare ab, um zu betonen, wie sehr sie sich ihm verbunden fühlten. Obwohl sie es natürlich nicht waren, und sobald sie in einer Ecke des Schlafzimmers den Katheter oder die Schachtel mit den Erwachsenenwindeln sahen, zählten sie insgeheim die Minuten, bis sie endlich die Flucht ergreifen konnten. Diese Leute würden ihm niemals widersprechen oder sich gegen ihn behaupten, und so blieb es bei dem oberflächlichen Anschein einer persönlichen Beziehung.
    In Sonny Lis Gesicht konnte Rhyme hingegen ablesen, wie wenig sein Zustand für den Chinesen eine Rolle spielte. Als wäre das alles wirklich, tja, ganz natürlich.
    Ihm wurde bewusst, dass mit Ausnahme von Amelia Sachs fast alle Leute, die er in den letzten Jahren kennen gelernt hatte, flüchtige Bekannte für ihn geblieben waren. Sonny Li kannte er noch nicht mal einen Tag, und doch schien der Mann schon mehr als das zu sein.
    »Sie haben Ihren Vater erwähnt«, sagte Rhyme. »Ihr Telefonat vorhin klang nicht so, als wäre es günstig verlaufen.
    Was ist los?«
    »Ach, mein Vater.« Er trank mehr von dem Scotch, der ihm offenbar immer besser zu schmecken schien, genau wie Rhyme Geschmack an dem baijiu gefunden hatte. Globalisierung durch Alkohol, dachte Rhyme ironisch.
    Li schenkte sich nach.
    »Vielleicht sollten Sie lieber in kleinen Schlucken trinken«, schlug Rhyme vor.
    »Für kleine Schlucke ist noch genug Zeit, wenn man tot ist«, sagte der Cop und leerte den rosafarbenen, mit einem Blumenmotiv verzierten

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