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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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    Er steckte die Stäbchen in einen Halter und zündete sie an. Dann holte er einen Plastikbecher aus dem Badezimmer und goss etwas Alkohol aus einer hellgrünen Flasche hinein, die ebenfalls aus der Tüte zum Vorschein gekommen war.
    »Was machen Sie da? Errichten Sie einen Tempel?«
    »Einen Schrein, Loaban. Keinen Tempel.« Es amüsierte ihn, dass Rhyme den eindeutigen Unterschied offenbar nicht erkannte.
    »Wer ist das? Buddha? Konfuzius?«
    »Mit Pfeil und Bogen?«, spottete Li. »Loaban, Sie wissen so viel über so wenig und so wenig über so viel.«
    Rhyme lachte und musste daran denken, dass seine frühere Frau dies während ihrer Ehe auch des Öfteren zum Ausdruck gebracht hatte, nur deutlich lauter und weniger vornehm.
    »Das ist Guan Di, der Gott des Krieges«, erläuterte Li. »Wir bringen ihm ein Opfer dar. Er mag süßen Wein, und genau den habe ich ihm gekauft.«
    Rhyme fragte sich, wie wohl Sellitto, Dellray und vor allem Sachs reagieren würden, wenn sie die Umgestaltung seines Zimmers in einen Schrein des Kriegsgottes zu Gesicht bekamen.
    Li verneigte sich vor der Figur und flüsterte etwas auf Chinesisch. Dann besorgte er sich einen zweiten Plastikbecher, zog eine weiße Flasche aus der Tüte und setzte sich auf den Rattansessel neben Rhymes Bett. Er schenkte sich ein, nahm eines von Rhymes Trinkgläsern, öffnete den Deckel, füllte es zur Hälfte, steckte den Deckel wieder auf und versah es mit einem Strohhalm.
    »Und was ist das?«, fragte Rhyme.
    »Guter Stoff, Loaban. Chu yeh ching chiew. Jetzt bringen wir uns ein Opfer dar. Wirklich gutes Zeug. Wie Whisky.«
    Nein, es war überhaupt nicht wie Whisky, erst recht nicht wie ein achtzehn Jahre alter Scotch, dessen Gerste sorgsam im Rauch eines Torffeuers gedarrt worden war. Aber obwohl der Fusel übel schmeckte, hatte er es in sich.
    Li nickte in Richtung des improvisierten Altars. »Ich habe Guan Di in einem Geschäft in Chinatown gefunden. Er ist ein sehr beliebter Gott, dem in China viele Tausend Schreine gewidmet sind. Aber ich habe ihn nicht gekauft, weil er für den Krieg steht, sondern weil er darüber hinaus der Gott der Polizisten ist.«
    »Das denken Sie sich doch aus.«
    »Ein Witz? Nein, es ist wahr, wirklich. Jede Dienststelle, in der ich jemals gewesen bin, hat irgendwo einen Guan Di stehen. Falls es bei einem Fall nicht so gut läuft, bringen die Beamten ein kleines Opfer dar, genau wie wir jetzt.« Er goss sich Schnaps nach und roch daran. »Starker Stoff, dieser baijiu, das muss ich schon sagen.«
    »Dieser was?«
    Er deutete auf die Flasche chu yeh ching chiew.
    »Worum haben Sie gebetet?«, fragte Rhyme.
    »Ich übersetze es mal für Sie: >Guan Di, bitte lass uns die Changs finden und den beschissenen Geist fangen.««
    »Das ist ein gutes Gebet, Sonny.« Rhyme trank etwas mehr. Es schmeckte mit jedem Schluck besser. Vielleicht neigte man auch nur dazu, den schlechten Geschmack zu verdrängen.
    »Diese Operation, von der Sie gesprochen haben...«, setzte der chinesische Cop an. »Wird es Ihnen danach besser gehen?«
    »Eventuell. Ein wenig. Ich werde nicht aufstehen können, aber es verleiht mir hoffentlich etwas zusätzliche Bewegungsfreiheit.«
    »Wie funktioniert es?«
    Er erzählte Li von Dr. Cheryl Weaver, deren neurologisches Forschungsteam der Universität von North Carolina experimentelle Eingriffe an Patienten mit Rückenmarksverletzungen vornahm. Die Ärztin hatte ihm das Verfahren erklärt. Er konnte sich fast noch wörtlich daran erinnern.
    Das Nervensystem besteht aus Fasersträngen, so genannten Axonen, die zur Beförderung der Nervenimpulse dienen. Bei einer Rückenmarksverletzung werden diese Stränge durchtrennt oder zerquetscht und sterben ab. Dadurch wird die Verbindung unterbrochen, und die Botschaft des Gehirns erreicht nicht mehr den Rest des Körpers. Nun, man behauptet gemeinhin, Nerven könnten sich nicht regenerieren. Das entspricht nur teilweise der Wahrheit. Im peripheren Nervensystem - zum Beispiel in unseren Armen oder Beinen - können beschädigte Axone sich neu bilden. Aber im zentralen Nervensystem - im Gehirn und Rückenmark - tun sie das nicht. Zumindest nicht von selbst. Wenn man sich also in den Finger schneidet, wächst die Haut wieder zu, und man erlangt den Tastsinn zurück. Im Rückenmark geschieht das nicht. Mittlerweile haben wir allerdings einiges hinzugelernt, um das Neuwachstum anzuregen.
    Wir an diesem Institut konzentrieren uns ganz auf die betroffene Stelle und greifen die

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