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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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haben kann?«
    »Sie sind in meinem Alter«, sagte Rhyme. »Das ist noch nicht alt.«
    Li sah wieder aus dem Fenster. »Vielleicht bleibe ich ja hier. Ich spreche ganz gut Englisch. Ich könnte auch hier Polizist werden und in Chinatown arbeiten. Als verdeckter Ermittler.«
    Er schien es ernst zu meinen. Aber dann lachte Sonny Li und sprach aus, was sie beide dachten. »Nein, nein, dafür ist es zu spät. Viel zu spät. Nein, wir fangen den Geist, ich fahre nach Hause zurück und bleibe weiterhin ein verflucht guter Cop. Guan Di und ich klären ein großes Verbrechen auf, und mein Foto wird in Fuzhou in der Zeitung gedruckt. Dann verleiht mir der Vorsitzende vielleicht einen Orden. Und vielleicht sitzt mein Vater vor dem Fernseher, sieht die Nachrichten und denkt sich, dass ich doch kein so schlechter Sohn bin.« Er trank seinen Scotch aus. »Okay, jetzt bin ich betrunken genug. Loaban, wir spielen nun ein Spiel.«
    »Ich spiele keine Spiele.«
    »Und was war das vorhin in Ihrem Computer?«, wandte Li sofort ein. »Schach. Ich hab's genau gesehen.«
    »Ich spiele nicht besonders häufig«, schränkte Rhyme ein.
    »Spiele verbessern die eigenen Fähigkeiten. Ich werde Ihnen zeigen, wie man das beste Spiel von allen spielt.« Er ging zu der magischen Einkaufstüte.
    »Die meisten Spiele kann ich gar nicht spielen, Sonny. Wissen Sie, mir fallen immer die Karten aus der Hand.«
    »Ach, Kartenspiele!«, rief Li spöttisch. »Die hängen vom Glück ab und sind nur dann gut, wenn man um Geld spielen will. Man bewahrt sein Geheimnis, indem man den anderen die Karten nicht zeigt. Die besten Spiele sind solche, bei denen man das Geheimnis im Kopf behält, würde ich sagen. Wei-Chi ? Haben Sie das schon mal gehört? Es wird auch Go genannt.«
    Rhyme war sich nicht sicher. »Ist das so ähnlich wie Dame?«
    Li lachte. »Nein, nein, keine Dame.«
    Rhyme musterte das Spielbrett, das Li aus der Einkaufstüte nahm und auf den Tisch neben dem Bett legte. Es war von einem rechtwinkligen Liniengitter überzogen. Daneben legte er zwei Beutel, die jeweils Hunderte winziger Spielmarken enthielten, einmal in Schwarz, einmal in Weiß.
    Plötzlich verspürte Rhyme eine unbändige Lust auf dieses Spiel und hörte aufmerksam zu, als Sonny Li ihm mit lebhafter Stimme die Regeln und das Ziel des Wei-Chi erläuterte.
    »Klingt ganz einfach«, sagte Rhyme. Die Kontrahenten legten abwechselnd ihre Spielmarken auf das Brett und versuchten dabei, die Steine des Gegners zu umzingeln und damit rauszuwerfen.
    »Wei-Chi ist wie alle großen Spiele: leicht zu lernen und schwer zu gewinnen.« Li teilte die Spielsteine in zwei Haufen auf und erzählte unterdessen weiter. »Es ist schon sehr alt. Ich habe den besten Spieler aller Zeiten studiert. Sein Name war Fan Sipin, und er hat im achtzehnten Jahrhundert gelebt - nach westlicher Zeitrechnung. Es hat nie einen Besseren gegeben. Partie um Partie hat er gegen Su Tingan gespielt, der fast genauso gut war. Meistens ging es unentschieden aus, aber Fan konnte ein paar Punkte mehr erzielen, also war er insgesamt der bessere Spieler. Wissen Sie, wieso?«
    »Nein, sagen Sie's mir.«
    »Su war ein defensiver Spieler, doch Fan. Fan hat stets angegriffen. Er hat immer die Konfrontation gesucht; er war impulsiv, beinahe verrückt.«
    Rhyme sah die Begeisterung des Mannes. »Spielen Sie oft?«
    »Zu Hause bin ich sogar in einem Verein. Ja, ich spiele ziemlich oft.« Er schwieg einen Moment und sah auf einmal sehr nachdenklich aus. Doch dann strich er sich das ölige Haar aus der Stirn und sagte: »Okay, lassen Sie uns anfangen. Mal sehen, wie es Ihnen gefällt. Es kann aber sehr lange dauern.«
    »Ich bin noch nicht müde«, sagte Rhyme.
    »Ich auch nicht«, sagte Li. »So, da Sie es noch nie gespielt haben, räume ich Ihnen einen Bonus ein. Sie bekommen drei Spielsteine extra. Das hört sich nicht nach viel an, stellt beim Wei-Chi aber einen gewaltigen Vorteil dar.«
    »Nein«, sagte Rhyme. »Ich möchte keine Sonderbehandlung.«
    Li sah ihn an und kam wohl zu dem Schluss, Rhyme wolle nicht wegen seiner Behinderung bevorzugt werden. »Es geschieht nur, weil Sie das Spiel noch nicht kennen«, versicherte er ernst. »Das ist der einzige Grund. So machen erfahrene Spieler das immer. Es ist üblich.«
    Rhyme verstand es und wusste Lis Erklärung zu schätzen. Dennoch blieb er hart. »Nein. Sie machen den ersten Zug. Na los.« Und er sah, wie Li den Blick senkte und sich auf das hölzerne Spielfeld

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