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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Tochter tat es ihm gleich.
    Wu rief etwas, aber er hatte den Kopf abgewandt, und Chang konnte ihn nicht verstehen.
    Unter beträchtlichen Anstrengungen, das Seil um einen Arm geschlungen und beide Füße fest gegen eine Dolle gestemmt, zwang Chang das Boot auf einen Kurs, der sie in zwanzig Metern Abstand rund um die Fuzhou Dragon führen würde. Das Schiff sank derweil noch tiefer, wobei immer wieder hohe Schaumfontänen aufstiegen, wenn Luft aus den geborstenen Bullaugen oder Luken entwich. Begleitet wurde das Ganze von einem an- und abschwellenden Stöhnen, als litte ein Tier große Qualen.
    »Da!«, rief William. »Ich glaube, ich habe jemanden gesehen.«
    »Nein«, wandte Wu Qichen ein. »Wir müssen weg! Worauf warten Sie noch?«
    William streckte den Arm aus. »Ja, Vater. Da drüben!«
    Zehn Meter vor ihnen entdeckte Chang einen dunklen Fleck neben einem kleineren weißen Fleck. Womöglich ein Kopf und eine Hand.
    »Egal«, rief Wu. »Der Geist wird uns entdecken! Und dann wird er uns erschießen!«
    Chang ignorierte ihn und steuerte auf die Stelle zu. Tatsächlich, ein Mann zappelte blass und keuchend im Wasser, das Gesicht vor Todesangst verzerrt. Er hieß Sonny Li, wusste Chang. Während die meisten Flüchtlinge sich häufig unterhalten oder einander aus ihren Büchern vorgelesen hatten, waren einige der allein reisenden Männer für sich geblieben, darunter auch Li. Er hatte irgendwie bedrohlich gewirkt und meist nur mürrisch auf seiner Pritsche gehockt oder den lärmenden Kindern wütende Blicke zugeworfen. Oftmals war er auch entgegen der strikten Anweisung des Geists heimlich an Deck geschlichen. Nur wenige Male hatte Li den Mund aufgemacht und dann viel zu viele Fragen darüber gestellt, was die Familien in New York anstellen und wo sie wohnen wollten - Themen, die jeder halbwegs umsichtige illegale Einwanderer niemals mit einem Fremden erörtern würde.
    Gleichwohl war Li ein Mensch in Not, und Chang wollte versuchen, ihn zu retten.
    Der Mann wurde von einer Welle verschluckt.
    »Lassen Sie ihn!«, raunte Wu. »Er ist verloren.«
    Vorn rief Rose, die junge Frau: »Bitte, lassen Sie uns von hier verschwinden!«
    Chang drehte das Boot in eine große Woge, um ein Kentern zu vermeiden. Als sie wieder stabil auf Kurs lagen, sah er in zirka fünfzig Metern Entfernung etwas Orangefarbenes aufblitzen, das sich hob und senkte. Es war das Boot des Schlangenkopfs, und es hielt genau auf sie zu. Dann schob eine Welle sich zwischen die beiden Fahrzeuge und versperrte kurzfristig die Sicht.
    Chang gab Gas und fuhr zu dem Ertrinkenden. »Hinlegen, alle hinlegen!«
    Als sie Li erreichten, kippte er den Motor aus dem Wasser, beugte sich über den dicken Gummiwulst, packte den Flüchtling an der Schulter und zerrte ihn an Bord, wo er sich hustend und spuckend am Boden krümmte. Ein Knall ertönte, und dicht neben ihnen spritzte Wasser auf. Chang gab wieder Gas und steuerte auf die andere Seite der Dragon, sodass das sinkende Schiff sich abermals zwischen ihnen und dem Geist befand.
    Die Aufmerksamkeit des Schlangenkopfs wurde vorübergehend abgelenkt, denn er hatte noch weitere Menschen im Wasser entdeckt zwei Besatzungsmitglieder in orangefarbenen Rettungswesten, die zwanzig oder dreißig Meter von ihm entfernt an der Oberfläche trieben. Er fuhr mit Vollgas auf sie zu.
    Die beiden schienen zu begreifen, dass der Geist sie töten wollte, winkten verzweifelt in Changs Richtung und bemühten sich mit aller Kraft, aus der Bahn des nahenden Boots zu gelangen. Chang schätzte die Entfernung zu den Männern ab und überlegte, ob er sie noch rechtzeitig erreichen konnte, bevor der Schlangenkopf sich in sicherer Schussdistanz befinden würde. Die Gischt, der Regen und nicht zuletzt der starke Seegang würden dem Geist das Zielen erschweren. Ja, Chang glaubte, er könnte es schaffen. Er gab Gas.
    Plötzlich drang eine Stimme an sein Ohr. »Nein. Es ist an der Zeit, von hier zu verschwinden.«
    Es war sein Vater, Chang Jiechi; der alte Mann hatte sich auf den Knien aufgerichtet und zu seinem Sohn gebeugt. »Bring deine Familie in Sicherheit.«
    Chang nickte. »Ja, Baba«, sagte er und benutzte dabei das liebevolle chinesische Kosewort für »Vater«. Er richtete den Bug des Boots auf die Küste und drehte den Gashebel bis zum Anschlag.
    Kurz darauf ertönte hinter ihnen ein Schuss, gefolgt von einem zweiten, als der Schlangenkopf die beiden Matrosen ermordete. Sam Chang schrie innerlich vor Entsetzen auf. Vergebt mir, wollte

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