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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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wichtig. Und den Pinsel hält man so.« Er nahm einen Kugelschreiber fest zwischen den Daumen und die ersten beiden Finger und hielt ihn genau senkrecht. Danach hob er die Hand. Die roten Abdrücke entsprachen den bei Chang und seinem Vater gefundenen Einkerbungen.
    »Bei uns gilt Kalligraphie als eine Kunstform«, fuhr er fort, »aber während der Proletarischen Revolution hat man alle Künstler verfolgt. Viele Kalligraphen wurden als Drucker oder Schildermaler eingesetzt, um etwas Nützliches zu schaffen. Etwas Gutes für die Gesellschaft. Auf dem Schiff hat Chang uns erzählt, dass er ein Dissident ist und aus seinem Lehrberuf gefeuert wurde. Keine Schule wollte ihn mehr einstellen. Vielleicht ist er Drucker oder Schildermaler geworden.«
    »Und im Krankenhaus hat Wu gesagt, Chang habe hier bereits einen Job in Aussicht«, warf Sachs ein.
    »Wir wissen, dass die Changs in Queens untergekommen sind«, sagte Rhyme. »Das Fünfte Revier soll uns so viele Chinesisch sprechende Beamten wie möglich überlassen; sie müssen bei jeder Druckerei oder Schildermalerei anrufen und sich nach kürzlich eingestellten Illegalen erkundigen.«
    Alan Coe lachte - offenbar über Rhymes Naivität. »Die werden nicht mit uns zusammenarbeiten. Wir haben keine guanxi.«
    »Scheiß auf die guanxi«, schimpfte Rhyme. »Sagen Sie den Leuten, falls wir sie bei einer Lüge ertappen, wird der INS ihren Laden auf den Kopf stellen. Und falls die Changs ermordet werden, droht ihnen eine Anklage wegen Beihilfe.«
    »Jetzt denken Sie wie ein chinesischer Cop«, sagte Sonny Li und lachte. »Und endlich setzen Sie den Historisch Beispiellosen Ochsenziemer des Volkes ein.«
    Deng nahm sein Mobiltelefon und rief im Revier an.
    Mel Cooper hatte eine Probe aus der Patrick Henry Street durch den Gaschromatographen geschickt und studierte soeben das Resultat. »Hier ist was Interessantes.« Er deutete auf die von Sachs mit einem Filzstift beschriftete Tüte.
    »Es hing an den Schuhen von Changs Vater. Nitrate, Kalium, Kohlenstoff, Natrium. Biostoffe. Und zwar in beträchtlicher Menge.«
    Rhyme merkte auf. Der Begriff »Biostoff« stammte mit Sicherheit von irgendeinem Werbeprofi, der schlau genug gewesen war, um zu wissen, dass das Produkt unter seiner korrekten Bezeichnung nur sehr begrenzte Marktchancen haben würde: aufbereitete Menschenscheiße.
    Die vierzehn Kläranlagen von New York City produzierten täglich mehr als tausend Tonnen Biostoffe und verkauften sie landesweit als Dünger. Eine dermaßen große Konzentration an den Schuhen des Opfers deutete darauf hin, dass die Changs wahrscheinlich ziemlich dicht neben einer dieser Anlagen wohnten.
    »Sollen wir alle Häuser im Umfeld durchsuchen?«, fragte Sellitto.
    Rhyme schüttelte den Kopf. Es gab in Queens mehrere Kläranlagen, und angesichts der ständig drehenden Winde von New York City betrug der in Frage kommende Radius jeweils einige Blocks. Ohne weitere Eingrenzung - indem man beispielsweise die Druckerei fand, in der Sam Chang arbeiten wollte -, würde eine solche Suche ewig dauern.
    Die restlichen Spuren waren wenig aussagekräftig. Das Morphium stammte aus einer chinesischen Klinik und hatte daher keinen forensischen Wert für sie.
    »Morphium kann tödlich sein?«, fragte Sellitto.
    »Angeblich hat der Schriftsteller Jack London sich auf diese Weise umgebracht«, erklärte Lincoln Rhyme, der über Selbstmordtechniken genauso gut Bescheid wusste wie über historische Kriminalfälle. »Außerdem kann in der richtigen Dosierung alles Mögliche tödlich sein.«
    Sachs fügte hinzu, dass der alte Mann weder ein U-Bahn-Ticket noch sonst irgendeinen Hinweis auf den Ausgangspunkt seiner Fahrt bei sich gehabt hatte.
    Dann wurde Rhyme daran erinnert, dass nicht nur Amelia Sachs am Tatort gewesen war.
    »He, Loaban«, sagte Sonny Li. »Mir ist in der Wohnung des Geists auch so einiges aufgefallen. Möchten Sie es hören?«
    »Nur zu.«
    »Es ist relativ aufschlussreich, würde ich sagen. Okay, gegenüber dem Eingang steht eine Buddhastatue mit dem Gesicht zur Tür. Im Schlafzimmer befindet sich keine Stereoanlage und auch keine rote Farbe. Der Flur wurde weiß gestrichen. Die Bücherregale sind mit Türen versehen. Ein anderes Standbild zeigt acht Pferde. Alle Spiegel sind sehr hoch, so dass beim Blick hinein kein Teil des Kopfs abgeschnitten wird. Und in der Wohnung hängen Messingglocken mit Holzgriffen - und zwar im westlichen Teil des Raums.« Er nickte, um die offensichtliche Bedeutung zu

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