Das Gesicht des Drachen
politischen und moralischen Aspekte der illegalen Einwanderung völlig egal, aber er fragte sich, ob Coe wohl wusste, dass Amerikaner chinesischer Abstammung proportional weniger Sozialhilfeempfänger stellten als jede andere Volksgruppe, darunter auch die im Land geborenen weißen Staatsangehörigen. Wusste er, dass das Bildungsniveau höher war und Konkurse oder Steuerhinterziehungen weitaus seltener vorkamen als bei anderen Ethnien?
Es würde dem Geist großes Vergnügen bereiten, diesen Mann zu töten. Leider konnte es aus Zeitgründen kein langsamer Tod werden.
Der Geist warf einen Blick auf Yindaos Beine und verspürte wieder diese Regung tief in seinen Eingeweiden. Er erinnerte sich daran, wie sie gestern in dem Restaurant gesessen und er ihr eine aufrichtige Einschätzung seiner selbst gegeben hatte.
Zertrümmert die Kessel, und versenkt die Boote...
Weshalb hatte er sich ihr gegenüber so geöffnet? Es war dumm. Sie hätte seine wahre Identität erkennen oder zumindest misstrauisch werden können. Noch nie hatte er jemandem so deutlich die eigene Lebensphilosophie erläutert.
Warum?
Die Antwort musste mehr sein als körperliches Verlangen. Er hatte schon Hunderte von Frauen begehrt, aber sowohl vor als auch während und nach dem Akt die meisten seiner inneren Empfindungen für sich behalten. Nein, bei Yindao war das anders. Er vermutete, dass er eine Art Seelenverwandtschaft zu ihr erkannte. Es gab nur sehr wenige Leute, die ihn verstanden, mit denen er reden konnte.
Und Yindao war genau diese Sorte Frau, glaubte er.
Während Coe bis zum Erbrechen über die Notwendigkeit von Quoten und die Belastung der Sozialkassen durch illegale Einwanderer schwadronierte und sogar genaue Daten anführte, dachte der Schlangenkopf darüber nach, wie schade es war, dass er diese Frau nicht mitnehmen und ihr die Schönheit von Xiamen zeigen, mit ihr den Nanputuo Tempel - ein riesiges buddhistisches Kloster - besichtigen und sie danach in ein Hafenrestaurant zu Erdnusssuppe oder Nudeln einladen konnte.
Doch es gab keinen Zweifel, dass er seinen Plan ausführen würde er würde sie in ein verlassenes Lagerhaus oder eine leere Fabrik schleppen und dann ein oder zwei Stunden lang seine Triebe ausleben. Und danach würde er sie töten. Auch Yindao würde die Kessel zertrümmern und die Boote versenken, das hatte sie ihm selbst bestätigt; sobald sie wusste, dass er der Geist war, würde sie nicht rasten, bis sie ihn getötet oder verhaftet hatte. Sie musste sterben.
Der Geist schaute sich lächelnd zu Coe um, als würde er interessiert zur Kenntnis nehmen, worüber auch immer der Mann gerade redete. In Wahrheit war der Blick des Schlangenkopfs auf einen Wagen hinter ihnen gerichtet. Yusuf und der andere Uigure blieben ihnen auf den Fersen. Yindao hatte die Verfolger nicht bemerkt.
Der Geist drehte sich nach vorn und sah sie kurz an. Dann murmelte er ein paar Worte.
»Was war das?«, fragte Yindao.
»Ein Gebet«, sagte der Geist. »Ich hoffe, dass Guan Yin uns helfen wird, die Wohnung der Changs zu finden.«
»Wer ist das?«
»Die Göttin der Barmherzigkeit«, lautete die Antwort, doch sie kam nicht aus dem Mund des Geists, sondern von der Rückbank, wo der hilfsbereite Agent Alan Coe saß.
...Dreiundvierzig
Zehn Minuten später klingelte Lon Sellittos Telefon.
Rhyme und Cooper sahen ihn gespannt an.
Der Detective nahm den Anruf entgegen. Hörte zu. Dann schloss er die Augen und lächelte.
»Wir haben die Adresse der Changs!«, rief er und legte auf. »Das war einer der Beamten vom Fünften. Er hat einen Kerl in Owls Head aufgetrieben, dem zwei Schnelldruckereien gehören. Joseph Tan. Unser Mann hat ihm klar gemacht, dass die Familie in wenigen Stunden tot sein dürfte, falls wir sie nicht vorher finden. Tan hat klein beigegeben und gestanden, dass er Chang und dessen Sohn einen Job verschafft und der Familie eine Wohnung besorgt hat.«
»Und wir haben die Adresse?«
»Ja. Zwei Blocks von der Kläranlage entfernt. Gott liebt Scheiße, was soll ich sagen?«
Rhyme dachte an Sonny Lis ebenso respektlose Bitte an den Gott der Polizisten.
Guan Di, bitte lass uns die Changs finden und den beschissenen Geist fangen.
Er rollte zur Tafel und starrte die Tabelle und die Beweisfotos an.
»Ich gebe Bo und dem INS Bescheid und setze alles in Bewegung«, sagte Sellitto.
»Wart noch eine Minute«, sagte der Kriminalist.
»Was ist los?«
»Eine Ahnung«, sagte Rhyme langsam. »Ich habe so eine Ahnung.« Seine
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