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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Tuckern, dann Stille. Wieder und wieder, ein Dutzend Mal. Doch nichts geschah. Der Motor gab kein einziges Lebenszeichen von sich.
    Changs älterer Sohn kroch nach vorn und rüttelte an dem Reservekanister. »Leer!«
    Verzweifelt und voller Sorge um die Sicherheit seiner Familie drehte Chang sich um. Der Dunst war noch dichter geworden und verbarg sie - den Geist allerdings auch. Wie weit war er noch weg?
    Das Boot wurde von einer großen Woge emporgehoben und krachte mit einem markerschütternden Aufprall in das Wellental.
    »Runter, alle runter!«, rief Chang. »Bleibt unten.« Er kniete sich in das dunkle Wasser, das über den Boden schwappte, und versuchte mit dem Ruder zu steuern, aber Seegang und Strömung waren zu stark, das Boot zu schwer. Der heftige Schlag einer Welle riss ihm das Ruder aus den Händen und ließ ihn nach hinten stürzen. In Fahrtrichtung erblickte er nur wenige Meter voraus eine Reihe von Felsen.
    Das Wasser packte das Schlauchboot und schleuderte es wie ein Surfbrett vorwärts. Mit harter Wucht schlug der Bug auf den Felsen auf. Die Gummihülle riss, und zischend entwich die Luft. Sonny Li, John Sung und das junge Ehepaar - Chaohua und Rose - wurden ins brodelnde Wasser katapultiert und von der Brandung weggespült.
    Die beiden Familien - die Wus und die Changs - hockten im hinteren Teil des Boots, der zunächst noch genügend Luft hatte, und konnten sich festhalten. Dann wurde ihr Gefährt ein zweites Mal auf die Felsen geworfen. Wus Frau stieß gegen einen Vorsprung, ging jedoch nicht über Bord, sondern stürzte schreiend ins Boot zurück, wo sie mit blutendem Arm benommen liegen blieb. Niemand sonst kam durch den Aufprall zu Schaden.
    Dann hatte das Boot die Felsen überwunden und trieb auf das Ufer zu, wobei es zügig an Luftdruck verlor.
    Chang hörte einen fernen Hilfeschrei, der von einem ihrer vier Gefährten stammen musste, aber er konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung der Ruf gekommen war.
    Das Boot rutschte über einen weiteren Felsen. Es lag mittlerweile tief im Wasser und befand sich noch fünfzehn Meter vom Land entfernt. Sie waren in der Brandung gefangen, wurden durchgeschüttelt und auf den steinigen Strand zugetrieben. Wu Qichen und seine Tochter bemühten sich, den Kopf seiner verletzten und halb bewusstlosen Frau über der Oberfläche zu halten - ihr Arm war aufgerissen und blutete stark. Po-Yee, das Baby in Mei-Meis Armen, hatte aufgehört zu weinen und starrte apathisch ins Leere.
    Der Außenbordmotor verfing sich an einer Felskante, sodass sie acht oder neun Meter vor ihrem Ziel festsaßen. Das Wasser war hier nicht tiefer als zwei Meter, aber die Wogen brachen immer noch über sie herein.
    »Ans Ufer!«, brüllte Chang und spuckte hustend Wasser. »Jetzt!«
    Es schien ewig zu dauern. Sogar Chang, der Stärkste von ihnen, rang nach Luft und wurde von Krämpfen gequält, während er auf den Strand zuschwamm. Endlich spürte er Grund unter den Füßen, glitschige Steine voller Algen und Schlamm, und stolperte aus dem Wasser. Einmal stürzte er, kam jedoch gleich wieder auf die Beine und half seinem Vater an Land.
    Erschöpft schleppten sich alle zu einem nahen Unterstand, der zwar keine Seitenwände besaß, mit seinem Wellblechdach aber wenigstens den peitschenden Regen von ihnen abhielt. Dort sackten sie auf dem dunklen Sand in sich zusammen, spuckten Wasser, weinten, keuchten, beteten. Schließlich schaffte Sam Chang es, sich aufzurappeln. Er sah aufs Meer hinaus, konnte aber weder das Boot des Geists noch einen der Flüchtlinge entdecken, die über Bord geschleudert worden waren.
    Dann sank er auf die Knie und verneigte sich, bis seine Stirn den Boden berührte. Ihre Gefährten und Freunde waren tot, sie selbst verletzt, unsagbar müde und von einem Mörder gejagt. Doch immerhin waren sie am Leben und auf festem Grund und Boden. Er und seine Familie befanden sich endlich am Ziel ihrer langen Reise, die sie um die halbe Welt in ihre neue Heimat geführt hatte: Amerika, das Schöne Land.
     
     
    ...Sechs
    Einen halben Kilometer vor der Küste saß der Geist über sein Funktelefon gebeugt, um es vor Regen und Salzwasser zu schützen, während sein Boot auf die Ferkel zuhielt.
    Der Empfang war schlecht - das Signal wanderte von seinem Apparat aus via Satellit nach Fuzhou und weiter nach Singapur - , aber am Ende gelang es ihm, Jerry Tang zu erreichen, einen bangshou, dessen Dienste er bisweilen in New Yorks Chinatown in Anspruch nahm, und der ihn zur Stunde
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