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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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endlich wieder in ein normales Leben zurückfinden. Es war ein Fehler, daß meine Frau hoffte, durch ihre Hartnäckigkeit eine angenehmere Alternative präsentiert zu bekommen, aber Frauen sind nun mal weichherzig, und es fällt ihr schwer, die bittere Wahrheit zu akzeptieren.«
    »Sie bat mich lediglich festzustellen, ob es tatsächlich die Wahrheit ist«, warf Monk hastig ein; es ärgerte ihn, daß Imogen kritisiert wurde. »Ich kann daran beim besten Willen nichts Falsches finden«, fügte er kalt hinzu.
    »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mr. Monk«, erwiderte Charles mit einem gönnerhaften Blick auf Imogen, als wolle er andeuten, wie tapfer Monk deren Launen ertragen habe, »aber ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß sie zu demselben Schluß kommen wird. Vielen Dank für Ihren Besuch. Ich bin sicher, Sie haben getan, was Sie für Ihre Pflicht hielten.«
    Monk mußte sich dieser Aufforderung zum Gehen wohl oder übel fügen. Erst in der Halle wurde ihm klar, was er getan hatte. Er hatte sich durch die Gedanken an Imogen und durch Hesters beißende Verachtung aus dem Konzept bringen lassen, war viel zu sehr von dem Haus, von Charles Latterlys Selbstsicherheit und Arroganz sowie seinen Versuchen beeindruckt gewesen, eine Familientragödie zu bemänteln und zu verharmlosen.
    Er machte auf dem Absatz kehrt und stand wieder vor der verschlossenen Tür. Er wollte ihnen ein paar Fragen über Grey stellen, wozu er genug Berechtigung hatte. Er machte einen Schritt vorwärts und kam sich plötzlich unglaublich lächerlich vor. Sollte er wie ein Lakai, der um Einlaß bittet, an die Tür klopfen? Er streckte die Hand aus und zog sie schnell wieder zurück.
    In dem Moment öffnete sich die Tür, und Imogen kam heraus. Sie blieb verblüfft stehen, nur einen Schritt von ihm entfernt, den Rücken an der Wandvertäfelung. Das Blut stieg ihr ins Gesicht.
    »Oh, Verzeihung.« Sie holte tief Luft. »Ich – ich wußte nicht, daß Sie noch hier sind.«
    Auch er suchte krampfhaft nach Worten, doch er war sprachlos. Die Sekunden verstrichen wie eine Ewigkeit, dann sagte sie schließlich: »Was ist, Mr. Monk? Haben Sie etwas herausgefunden?« Ihre Stimme klang eifrig, ihre Augen leuchteten hoffnungsvoll, und er wußte nun mit Bestimmtheit, daß sie auf eigene Faust zu ihm gekommen war und ihm etwas anvertraut hatte, das weder ihrem Mann noch Hester bekannt war.
    »Ich untersuche den Mordfall Grey.« Was hätte er sonst sagen sollen? Er steckte in einem Sumpf aus Unsicherheit und Unwissen. Wenn er sich nur erinnern könnte!
    Die Hoffnung in ihren Augen erlosch. »Ach so. Dann sind Sie deswegen gekommen. Entschuldigen Sie, es war ein Mißverständnis meinerseits. Sie – Sie möchten etwas über Major Grey wissen?«
    Es gab kaum etwas, das der Wahrheit ferner gelegen hätte.
    »Ich –« Monk atmete tief durch. »Ich will Sie nur ungern damit quälen, nachdem Sie gerade erst –«
    Sie hob abrupt den Kopf; in ihren Augen schimmerte Wut. Er hatte keine Ahnung, weshalb. Sie war so liebenswert, so sanft – sie weckte eine Sehnsucht in ihm, deren Inhalt sich seiner Erinnerung entzog; es war etwas Bittersüßes, das lange zurücklag, eine Zeit voll Gelächter und Vertrauen. Wie konnte er nur so dumm sein, diesen Wirbelsturm von Gefühlen für eine Frau zu empfinden, die ihn lediglich um Unterstützung bei einem familiären Drama gebeten hatte und ihn mit ziemlicher Sicherheit auf eine Stufe mit dem Klempner oder dem Feuerwehrmann stellte?
    »Ein Unglück kommt selten allein«, entgegnete sie leise und ein wenig distanziert. »Und ich kenne die Ansicht der Presse. Was wollen Sie denn über ihn wissen? Wenn uns irgend etwas bekannt wäre, das Ihnen weiterhelfen könnte, hätten wir es Ihnen vorhin erzählt.«
    »Ich weiß.« Ihr rätselhafter, unterschwelliger Zorn setzte ihm erheblich zu; er traf ihn mit vernichtender Intensität. »Natürlich hätten Sie das getan. Ich – ich habe mich nur gefragt, ob ich vielleicht etwas übersehen habe. Aber ich glaube nicht. Gute Nacht, Mrs. Latterly.«
    »Gute Nacht, Mr. Monk.« Sie hob den Kopf etwas höher. Hatte sie gerade geblinzelt, um die Tränen zurückzudrängen? Aber das war absurd – aus welchem Grund sollte sie weinen? Aus Enttäuschung? Aus Resignation? Aus Ernüchterung, weil sie mehr von ihm erhofft und erwartet hatte? Könnte er sich bloß erinnern!
    »Parkin, Mr. Monk möchte gehen.« Ohne ihn noch einmal anzusehen oder auf das Mädchen zu warten, wandte sie sich um und

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