Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
setze, muß ich mir absolut sicher sein. Es betrifft nämlich auch andere.« So – auf diese Weise waren sie dazu verpflichtet, nicht weiter in ihn zu dringen. Er räusperte sich noch einmal. »Unser letztes Gespräch liegt eine ganze Weile zurück, und ich habe mir damals – aus Gründen der Diskretion – keine Notizen gemacht…«
    »Danke«, sagte Charles zögernd. »Das war sehr rücksichtsvoll von Ihnen.« Es fiel ihm sichtlich schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. Offensichtlich erkannte er nur ungern an, daß ein Polizist zu derartiger Feinfühligkeit imstande sein sollte.
    Hester musterte ihn mit unverhohlenem Argwohn.
    »Könnten wir die uns bekannten Details noch einmal durchgehen?« fragte Monk in der Hoffnung, sie würden vielleicht die klaffenden Lücken in seinem Gedächtnis schließen. Er wußte lediglich, was Runcorn ihm erzählt hatte, und das war wiederum nicht mehr, als er bereit gewesen war, Runcorn preiszugeben. Jedenfalls reichte es bei weitem nicht aus, um zu rechtfertigen, daß er seine Zeit auf den Fall Latterly verwendete.
    »Ja, sicher.« Es war wieder Charles, der das Wort ergriff, aber Monk spürte deutlich die Blicke der beiden Frauen auf sich. Imogen machte einen verängstigten Eindruck; sie hatte die Hände in den üppigen Falten ihres Rockes vergraben, die dunklen Augen weit aufgerissen. Hester machte ein nachdenkliches Gesicht und war anscheinend jederzeit bereit, über ihn herzufallen. Er mußte beide aus seinen Gedanken verbannen und sich darauf konzentrieren, Charles’ Bemerkungen aufzugreifen und sinnvolle Kommentare dazu abzugeben, ansonsten würde er wie ein Narr dastehen – und das wollte er in ihrer Gegenwart um jeden Preis vermeiden.
    »Ihr Vater starb am vierzehnten Juni im Arbeitszimmer seines Hauses in Highgate«, begann er vorsichtig. Soviel wußte er von Runcorn.
    »Richtig«, bestätigte Charles. »Am frühen Abend, noch vor dem Dinner. Meine Frau und ich waren ebenfalls dort. Wir waren fast alle oben, um uns umzuziehen.«
    »Fast alle?«
    »Meine Mutter und ich waren oben. Meine Frau kam später, weil sie Mrs. Standing besuchte, die Frau des Pfarrers, und mein Vater hielt sich, wie wir bald erfahren sollten, in seinem Arbeitszimmer auf.«
    Der Tod war durch eine Kugel herbeigeführt worden, folglich fiel die nächste Frage nicht schwer.
    »Und wie viele von Ihnen hörten den Knall?«
    »Nun, ich nehme an, jeder von uns hat ihn gehört, aber meine Frau war die einzige, die das Geräusch richtig deutete. Sie hatte das Haus durch die Haustür betreten und befand sich im Wintergarten.«
    Monk drehte sich zu Imogen um.
    Sie schaute ihn mit leicht gerunzelter Stirn an, als ob sie etwas sagen wollte, es aber nicht wagte. Ihr Blick war gequält.
    »Mrs. Latterly?« Er hatte vergessen, was er sie fragen wollte, und merkte, daß er die Hände seitlich am Körper zu Fäusten geballt hatte. Er zwang sich, sie unauffällig zu öffnen; sie klebten vor Schweiß.
    »Ja, Mr. Monk?« erwiderte sie ruhig.
    Er suchte krampfhaft nach taktvollen Worten, aber sein Kopf war wie leergefegt. Was mochte er bei ihrer ersten Begegnung zu ihr gesagt haben? Sie war zu ihm gekommen, zweifellos hatte sie ihm alles erzählt, was sie wußte. Die anderen beobachteten ihn und warteten – Charles Latterly abweisend und unverkennbar mißbilligend, Hester Latterly wütend wegen seiner stümperhaften Vorgehensweise. Er mußte sich schleunigst eine Frage einfallen lassen!
    »Warum vermuteten Sie als einzige, daß es sich um einen Schuß handelte, Mrs. Latterly?« Seine Stimme dröhnte durch den totenstillen Raum wie die plötzlichen Schläge einer Standuhr. »Ahnten Sie, daß Ihr Schwiegervater mit dem Gedanken spielte, sich das Leben zu nehmen, oder daß er in Gefahr war?«
    »Selbstverständlich nicht, Mr. Monk. Sonst hätte ich ihn kaum allein gelassen.« Sie schluckte und fügte etwas freundlicher hinzu: »Ich wußte, daß er Sorgen hatte, das wußten wir alle. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß er sich deshalb erschießen würde oder derart durcheinander und unkonzentriert war, um einen Unfall haben zu können.« Ein tapferer Versuch.
    »Falls Sie tatsächlich eine Entdeckung gemacht haben sollten«, warf Hester steif ein, »fände ich es besser, Sie würden sich erst dahingehend überzeugen und dann wiederkommen, um uns aufzuklären, Mr. Monk. Ihr momentanes Herumtappen ist sinnlos und unnötig belastend. Und Ihre Andeutung, meine Schwägerin hätte mehr gewußt, als sie

Weitere Kostenlose Bücher