Das Gesicht des Fremden
damals zu Protokoll gab, ist eine Beleidigung!« Sie musterte ihn mit Abscheu. »Haben Sie wirklich nicht mehr zu bieten? Es ist mir ein Rätsel, wie Sie überhaupt jemand zu fassen kriegen, es sei denn, Sie stolpern direkt über ihn!«
»Hester!« Imogens Ton klang ziemlich scharf, obwohl sie den Blick gesenkt hielt. »Mr. Monk muß diese Frage stellen. Es könnte schließlich sein, daß ich etwas gehört oder gesehen habe, das mir erst im nachhinein verdächtig vorgekommen ist.«
Monk empfand einen kurzen, freudigen Stich. Eigentlich hatte er nicht verdient, in Schutz genommen zu werden.
»Danke, Ma’am.« Er versuchte Imogen anzulächeln und spürte, wie sich seine Lippen statt dessen zu einer grotesken Grimasse verzerrten. »Waren Sie damals über das volle Ausmaß des finanziellen Fiaskos Ihres Schwiegervaters im Bilde?«
»Es war nicht das Geld, was ihn ins Grab gebracht hat«, meinte sie, ehe Charles zu einer Entgegnung ansetzen konnte; Hester hatte sich vorübergehend in resigniertes Schweigen gehüllt. »Es war die Schande.« Sie biß sich gequält auf die Lippen, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sehen Sie, er hatte fast all seinen Freunden geraten, in das Projekt zu investieren. Er hat es sogar unter seinem Namen laufen lassen, und sie haben ihm das Geld gegeben, weil sie ihm vertrauten.«
Monk hätte ihr gern etwas Tröstendes gesagt. War es das, was er so intensiv spürte – Mitleid? Und das Bedürfnis zu beschützen?
»Und wohin hat das Ganze geführt? Zu einem einzigen Drama«, fuhr Imogen leise fort, den Blick auf den Boden gerichtet. »Erst Schwiegerpapa, dann Schwiegermama und jetzt auch noch Joscelin.«
Für einen kurzen Moment schienen Raum und Zeit stillzustehen, dann traf ihn die Bedeutung ihrer Worte mit voller Wucht.
»Sie kannten Joscelin Grey?« Seine Stimme schien einem andern zu gehören. Er hatte das Gefühl, hinter einer Glaswand zu stehen und durch sie hindurch auf eine Gruppe völlig fremder Menschen zu sehen.
Imogen runzelte leicht die Stirn, als würde sie seine Begriffsstutzigkeit verwirren. Ihre Wangen waren hochrot, und sie vermied es, irgendeinen von ihnen anzuschauen, insbesondere ihren Mann.
»Das darf doch nicht wahr sein!« Charles verlor die Beherrschung. »Wollen Sie uns zum Narren halten, Mann?« Monk war absolut hilflos. Was in aller Welt hatte Grey mit dem Ganzen zu tun? Hatte er ihn am Ende gekannt?
Bei der Vorstellung, was sie jetzt von ihm denken mochten, wurde ihm übel. Wie sollte er aus diesem Dilemma wieder herausfinden? Entweder hielten sie ihn für vollkommen übergeschnappt, oder sie glaubten, er triebe ein übles Spiel mit ihnen. Das Leben mochte ihnen nicht heilig sein – der Tod war es zweifellos. Er spürte, wie sein Gesicht vor Verlegenheit brannte, und war sich Imogens Gegenwart so deutlich bewußt, als würde sie ihn berühren. Hesters Augen schienen sich voller Verachtung in seinen Rücken zu bohren.
Wieder war es Imogen, die als Retter in der Not fungierte.
»Mr. Monk ist Joscelin nie begegnet, Charles«, erklärte sie ruhig. »Man vergißt leicht einen Namen, wenn man den dazugehörenden Menschen nicht kennt.«
Hester blickte skeptisch von einem zum andern. In ihren klaren, intelligenten Augen spiegelte sich die wachsende Überzeugung, daß hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
»Wie sollte er auch«, fügte Imogen etwas forscher hinzu, wobei sie ihre Gefühle geschickt verbarg. »Er war nach Papas Tod zum erstenmal hier – folglich hatte er gar keine Gelegenheit.« Diese Worte galten eindeutig ihrem Mann, obwohl sie ihn nicht ansah. »Und Joscelin hat sich von dem Zeitpunkt an nicht mehr hier sehen lassen, wenn du dich erinnerst.«
»Was man ihm kaum verdenken kann«, sagte Charles spitz, als wolle er durchblicken lassen, daß Imogen ungerecht war. »Es hat ihn genauso getroffen wie uns. Er schrieb mir einen sehr anständigen Brief, in dem er sein Beileid ausdrückte.« Er schob die Hände in die Taschen und zog die Schultern hoch. »Unter den gegebenen Umständen hielt er es für unpassend, persönlich vorbeizukommen. Er verstand, daß wir den Umgang miteinander abbrechen mußten was ich überaus taktvoll fand«, schloß er mit einem ungeduldigen Blick auf seine Frau. Hester ignorierte er völlig.
»Ja, das paßt zu ihm. Er war immer sehr feinfühlig.« Imogens Blick war in weite Ferne gerichtet. »Ich vermisse ihn wirklich.« Charles fuhr zu ihr herum und schaute ihr voll ins Gesicht. Er schien etwas sagen zu
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